Sieben Jahre
dem Bett saßen und uns anzogen, fragte ich aus einer Laune heraus, ob sie Lust habe, mit auf ein Bier zu kommen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Es war riskant, ich musste damit rechnen, dass Jakob Sonja nach den Feiertagen begegnete. Vielleicht geschah es aus demselben Impuls, aus dem einem Leute ihre Narben zeigen, mit diesem absurden Stolz auf ihre Versehrtheit.
Ich war seit dem ersten Abend nicht mehr mit Iwona in der Öffentlichkeit gewesen. Die Vorstellung, von einem meiner Bekannten gesehen zu werden, war erschreckend und verführerisch zugleich. Egal ob ich schnell oder langsam ging, Iwona hielt sich immer zwei Schritte hinter mir. Im Bus setzte sie sich nicht, sondern blieb neben meinem Platz stehen. Als wir unsere Station erreicht hatten, stieg ich wortlos aus und schaute mich nur kurz um, ob sie mir folgte.
Ich hatte mich mit Jakob in einem Lokal verabredet, das wir als Studenten nie betreten hätten, eines jener seelenlosen Brauhäuser in der Innenstadt, die die Touristen lieben. Iwona setzte sich auf die Bank an der Wand, und nach kurzem Zögern setzte ich mich zu ihr. Jakob kam mit einer Viertelstunde Verspätung. Er gab mir die Hand, und ich stellte die beiden einander vor. Iwona kommt aus Polen, sagte ich. Ich schaute Jakob in die Augen, aber ich sah keinerlei Reaktion. Er lächelte nur und gab Iwona die Hand. Dann fing er an, von seiner Dissertation zu erzählen, es ging um irgendwelche krankhaften Veränderungen bei Rindereutern. Es war erstaunlich, diesem bäurischen Menschen beim Biertrinken zuzusehen und ihn dabei über hochkomplexe Diagnoseverfahren reden zu hören, von denen ich keine Ahnung hatte. Er fragte nach meiner Arbeit. Ich antwortete einsilbig. Dann fragte er Iwona, was sie mache, und sie sagte, sie arbeite in einer Buchhandlung. Er fragte, woher aus Polen sie stamme und weshalb sie in Deutschland sei und ob sie vorhabe, in ihr Land zurückzugehen, jetzt, wo sich der Osten öffne. Iwona sagte, sie wisse es nicht. Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass Jakob irgendeine Bemerkung machte, dass er mir einen Blick zuwürfe, aber er redete mit Iwona, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, und probierte sogar ein paar polnische Worte aus, die er auf dem Hof seiner Eltern von Wanderarbeitern gelernt hatte, links und rechts und Achtung und Briefmarke.
Seltsamerweise empfand ich eine Art Eifersucht, als ich die beiden so unbeschwert miteinander reden hörte. Ich hatte keine Angst, dass Jakob mir Iwona ausspannen würde, aber ich spürte eine Vertrautheit zwischen ihnen, ein Einvernehmen, das ich mir nicht erklären konnte. Jakob war gar nicht besonders aufmerksam Iwona gegenüber, er behandelte sie einfach ganz normal. Sie schien sich wohl zu fühlen in seiner Gegenwart, während sie ungeschickt und gehemmt wirkte, wenn sie mit mir zusammen war. Ich fing an, unter dem Tisch die Innenseite von Iwonas Oberschenkel zu streicheln. Sie rückte etwas von mir ab, aber ich hörte nicht auf und gab mir kaum Mühe, es vor Jakob zu verbergen. Es war kindisch, aber ich konnte nicht aufhören, bis Jakob irgendwann aufstand und lächelnd sagte, er wolle uns nicht länger stören.
Als wir uns auf der Straße voneinander verabschiedeten, fragte er, ob ich etwas von Sonja wisse, der Blondine, die mit mir studiert habe. Sofort war mir klar, dass sie der Grund war, weshalb er mich hatte sehen wollen. Sie ist in Marseille, sagte ich. Hast du noch Kontakt mit ihr? Natürlich, sagte ich und nickte. Ich sah dabei Iwona an, aber sie hatte sich abgewandt und schaute in die andere Richtung. Vielleicht käme er ja nach Weihnachten mal in die Stadt, sagte er, bei seinen Eltern falle ihm immer schnell die Decke auf den Kopf. Wie wäre es, wenn wir zu viert etwas unternehmen? Ich sagte, er habe ja meine Nummer, er solle sich melden, wenn er hier sei.
Einige Tage später traf ich Ferdi und Alice zum Mittagessen. Alice war schwanger, die beiden wollten im Frühling heiraten. Ferdi erzählte, er habe vor, sein eigenes Büro zu gründen, er wolle im Osten sein Glück versuchen, da werde es jetzt viel zu tun geben, ein Eldorado für Architekten. Er habe ein paar wichtige Leute kennengelernt. Alice beklagte sich, als er eine Zigarette anzündete, und mit ergebener Miene drückte er sie wieder aus. Er war dicker geworden, und als er eine Schweinshaxe bestellte, meinte sie, er solle nicht so fett essen, und kniff ihn in den Bauch. Überhaupt mäkelte sie dauernd an ihm herum. Ihm schien es nichts
Weitere Kostenlose Bücher