Sieben Jahre
letzte Mensch in der Stadt. Nur so kann ich mir erklären, weshalb ich Ende Oktober wieder anfing, Iwona zu treffen.
Es war ganz einfach. Ich sagte im Büro, ich hätte einen Zahnarzttermin, und ging kurz vor Ladenschluss in die Buchhandlung. Iwona kam aus dem Hinterzimmer wie bei meinem ersten Besuch. Sie stellte sich wortlos hinter die Theke und ordnete die Heiligenbildchen und die kleinen Büchlein mit Naturfotos und Bibelsprüchen. Sie trug eine beige Bundfaltenhose und eine Bluse mit einem folkloristischen Muster. Ich spürte, dass sie mich beobachtete, aber wenn ich zu ihr hinschaute, schlug sie die Augen nieder. Ich hatte unglaubliche Lust, mit ihr zu schlafen, inmitten dieses christlichen Kitsches und der Erbauungs- und Lebenshilfeliteratur. Bist du allein?, fragte ich. Sie schwieg trotzig. Ich hob den Vorhang und schaute ins Hinterzimmer. Trotz der zurückgezogenen Gardinen war es diesmal schummrig im Raum. Das Fenster ging auf einen engen Hinterhof hinaus, wohin das Licht wohl nur um die Mittagszeit gelangte. In der Mitte des Raumes standen zwei massive alte Schreibtische aus Eichenholz, an den Wänden Regale voller Pappkartons und Stapel mit verschweißten Büchern. Es roch nach Staub und nach Papier und ein wenig nach Wachs und Schweiß. Ich setzte mich auf einen der Schreibtische. Iwona war mir gefolgt und im Durchgang stehen geblieben. Komm, sagte ich. Sie sagte, in fünf Minuten schließe sie. Aus dem Laden war das Schellen der Türglocke zu hören, und Iwona verschwand. Ich hörte, wie sie sprach, es musste Polnisch sein, ich verstand kein Wort. Ich schaute durch einen Spalt im Vorhang und sah eine hübsche blonde Frau ungefähr in Iwonas Alter. Die beiden hielten sich bei den Händen, und die blonde Frau redete lachend auf Iwona ein, die den Kopf schüttelte und etwas zu erklären schien. Ich setzte mich wieder auf den Schreibtisch und wartete. Kurz darauf hörte ich die Türglocke erneut und dann, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde.
Ich hatte erwartet, dass Iwona mir Vorwürfe machen würde wegen dem, was bei unserem letzten Treffen geschehen war oder weil ich mich so lange nicht gemeldet hatte, aber sie blieb in Armeslänge vor mir stehen und schaute ins Leere. Ich erhob mich und machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie. Sie wehrte sich nicht, machte sich nur kurz los, um das Licht zu löschen und die Gardinen vorzuziehen.
Ich zog ihr Hose und Unterhose aus und küsste und streichelte sie. Sie stöhnte und drehte den Kopf hin und her. Es wirkte, als spiele sie ihre Lust, aber das war mir egal. Ich zog mich aus, und wir legten uns auf den harten Boden, und auch Iwona streichelte und küsste mich. Nur wenn ich versuchte, in sie einzudringen, wehrte sie sich und ließ es nicht zu. Als ich schließlich von ihr abließ, flüsterte sie etwas auf Polnisch. Ich fragte nicht, was es bedeutete, ich konnte es mir vorstellen und wollte es nicht hören. Geh noch nicht, sagte sie. Ich habe viel zu tun, sagte ich. Willst du essen?, fragte sie. Ich sagte, ich hätte keine Zeit, und stand auf. Kommst du wieder? Ja, sagte ich und ging.
Ich ging noch einmal ins Büro, um ein paar Sachen fertig zu machen. Mein Chef war nicht mehr da. Um acht rief ich Sonja an. Sie war nicht zu Hause. Zwei Stunden später, als ich endlich fertig war mit der Arbeit, versuchte ich es noch einmal. Sonja nahm ab, und ich fragte, ob sie so viel zu tun habe. Aber ich war nicht eifersüchtig und hörte geduldig zu, was sie von einem neuen Projekt erzählte, an dem sie arbeitete. Dann erzählte ich von meiner Arbeit. Sonja sagte, sie habe mich schon lange nicht mehr so gut gelaunt gehört. Und wirklich, ich war ganz ausgelassen und machte Scherze und sagte, ich vermisste sie. Ich dich auch, sagte Sonja. Weihnachten sehen wir uns ja. Ich war erstaunt, kein schlechtes Gewissen zu haben, mich im Gegenteil mit Sonja verbunden zu fühlen wie lange nicht mehr.
Als ich ein paar Tage später wieder bei Iwona im Geschäft auftauchte, bat sie mich, mit zu ihr ins Studentenwohnheim zu kommen. Es war eines der wenigen Male, dass sie mich um etwas bat.
Von nun an ging ich nur noch zu ihr ins Wohnheim. Ihr Zimmer wirkte wie das eines Kindes oder einer alten Frau. Es war vollgestopft mit Ramsch, gefälschten Erinnerungen an ein Leben, das nicht stattgefunden hatte. Über dem Bett war ein kleines Kruzifix aus Plastik, an den Wänden hingen Postkarten und gerahmte Bibelsprüche. Im Bett lagen jede Menge Plüschtiere in schrillen
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