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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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bigott zu sein. Sie verstand das Wort nicht, und ich musste es ihr erklären.
    Ich weiß nicht, wie ich mein Verhalten entschuldigen kann, weiß nicht mehr, wie ich es damals vor mir selbst rechtfertigte. Ich weiß nur, dass ich immer abhängiger wurde von Iwona, dass, während ich noch glaubte, Macht über sie zu haben, ihre Macht über mich immer größer wurde. Dabei verlangte sie nie etwas von mir und war nicht beleidigt, wenn ich tagelang wegblieb, weil viel zu tun war im Büro oder weil ich keine Lust hatte, sie zu besuchen. Manchmal erzählte ich Iwona von anderen Frauen, um sie zu kränken, aber sie nahm es hin und hörte mit ausdruckslosem Gesicht zu, wenn ich die Schönheit, den Witz und die Intelligenz der anderen lobte. Vielleicht wusste sie nicht, dass sie Macht über mich hatte. Vielleicht hielt sie meine Hörigkeit für Liebe.
     
    Die Situation in der Wohngemeinschaft war vollkommen unerträglich geworden, und wir kommunizierten nur noch mittels kleiner Zettel, die wir an den Kühlschrank hefteten. Tanja hatte einen Plan gemacht, wer wann welche Aufgabe im Haushalt zu verrichten hatte, den Birgit und ich geflissentlich ignorierten. Die ganze Wohnung roch nach Desinfektionsmitteln, und es war oft kalt, weil Tanja hinter unserem Rücken die Heizung zurückdrehte, damit die Keime sich weniger schnell vermehrten, wie sie sagte. Ihre Gäste blieben immer länger und fingen an, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen. Als ich nach einem Wochenende bei meinen Eltern zurück in die Wohnung kam, war mein Bett abgezogen. Ich stellte Tanja zur Rede, und sie sagte, ein Freund habe in meinem Zimmer übernachtet, ich hätte doch wohl nichts dagegen? Ich stand schweigend daneben, während sie mein Bett mit Desinfektionsmittel besprühte und frisch bezog. Von diesem Tag an schloss ich mein Zimmer ab, wenn ich die Wohnung verließ, und fing endlich an, ernsthaft nach einer anderen Unterkunft zu suchen.
    Es war nicht einfach, etwas Passendes zu finden. Ich verdiente dreitausend Mark, was für einen Praktikanten nicht schlecht war, aber große Sprünge konnte ich mit dem Geld nicht machen. Ich schaute mir alle möglichen Objekte an, ohne mich entscheiden zu können. Mit der Zeit machte es mir Spaß, auch Wohnungen zu besichtigen, die ohnehin nicht für mich in Frage kamen. Wenn ich den Vermietern sagte, ich sei Architekt, behandelten sie mich mit Respekt und nahmen sich viel Zeit. Einige der Wohnungen waren noch bewohnt, und es war faszinierend zu sehen, wie verschieden die Menschen sich eingerichtet hatten und wie viel ein paar Gegenstände über sie verrieten. Es war immer etwas peinlich, von den Vormietern herumgeführt zu werden und in Einbauschränke zu schauen, die vollgestopft waren mit Gerümpel, und Küchen zu besichtigen, in denen schmutziges Geschirr herumstand mit Essensresten und vertrocknete Kräuter auf dem Fenstersims. Ein Mieter hatte sich sogar im Bad eingeschlossen. Der Hausverwalter führte mich herum und klopfte an die verschlossene Badezimmertür, aber der Mieter tat keinen Mucks. Wir haben ihm kündigen müssen, sagte der Verwalter, aber ich garantiere Ihnen, dass er Ende des Jahres draußen ist, und wenn wir die Polizei holen müssen.
    Schließlich bekam ich eine kleine Dreizimmerwohnung im obersten Stock eines Altbaus in Schwabing. Ich hatte mich sofort in die Wohnung verliebt. Sie war nicht renoviert und hatte nur einen alten Ölofen, aber der Grundriss war gut, und die Räume waren hell und strahlten eine Gemütlichkeit aus, die in modernen Wohnhäusern selten zu finden ist. Ich erzählte es Birgit noch am selben Abend. Sie schien nicht sehr erfreut bei dem Gedanken, mit Tanja und ihren verrückten Freunden zurückzubleiben. Sie sagte, sie würde gleich morgen ausziehen, wenn sie es sich nur leisten könnte.
    Die Feiertage kamen näher. Viele meiner Freunde würden Weihnachten mit ihren Familien feiern und hatten ihren Besuch angekündigt. Ferdi und Alice wollten kommen, Rüdiger schrieb aus São Paulo, der letzten Station seiner Reise, sogar Jakob, der Veterinärmediziner, rief an. Er hatte eine Assistenzstelle in Stuttgart angenommen und sagte, er werde kurz in München sein, bevor er in den Bayerischen Wald fahre, ob ich Lust habe, mit ihm ein Bier zu trinken. Sonja würde als Letzte kommen, sie hatte immer noch viel zu tun und erst einen Flug für den Morgen des Heiligabend gebucht.
    Ich verabredete mich mit Jakob. Bevor ich mich mit ihm traf, ging ich zu Iwona. Als wir nebeneinander auf

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