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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Außerdem sei Tanja immer misstrauischer geworden. Sie habe einen richtiggehenden Verfolgungswahn entwickelt. Schließlich habe sie einen Schweizer geheiratet, der ebenfalls bei der Organisation mitgemacht habe, bei der sie Mitglied gewesen sei, und sei mit ihm in die Schweiz gezogen.
    Dabei hatten wir es so nett am Anfang, sagte Sonja, weißt du noch? Wie wir zusammen gekocht haben? Ein bisschen verklemmt war sie von Anfang an, sagte Birgit. Sie hat alles so wahnsinnig ernst genommen und hatte zu allem Möglichen eine Theorie und eine Meinung. Irgendwie hat sie keine Unsicherheit ertragen. Wie alle Gläubigen, sagte ich. Sonja sagte, es sei gemein, so etwas zu sagen. Es sind nicht die schlechtesten Menschen, die in Sekten landen, sagte Birgit. Es sind Suchende, denen etwas fehlt und die irgendwann nicht mehr mit diesem Mangel leben können. Und dann hängen sie ihr Herz an irgendeinen Guru oder an eine Sache, die gerade in der Luft liegt. Etwas, das ihnen Sicherheit gibt. Eine Beziehung gibt dir auch Sicherheit, sagte Sonja. Geld gibt Sicherheit, sagte Birgit. Ich sagte, mein Ziel sei es, die Unsicherheit auszuhalten. Birgit lachte. Wer auf den Wohlstand nicht verzichtet, kann nur scheinbar die Freiheit wählen. Von wem ist das, fragte ich. Birgit zuckte mit den Schultern. Von mir? Keine Ahnung. Man müsste ein Heiliger sein, sagte sie.
    Das Büro lief besser, als wir es uns hätten erträumen können, wir hatten mehr Leute eingestellt, aber die Arbeit für uns war dadurch nicht weniger geworden. Man kann halt nicht alles planen, sagte Birgit. Wir haben Zeit, sagte Sonja, und wenn es nicht sein soll, soll es eben nicht sein. Ich wusste, wie sehr sie sich inzwischen ein Kind wünschte, und hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich es nicht schaffte, ihr dazu zu verhelfen. Wir sprachen nicht mehr über das Thema, nur manchmal sagte Sonja noch, sie habe ihre fruchtbaren Tage, und dann tat sie mir leid, was meine Lust nicht steigerte. Als wir in das Haus einzogen, benutzten wir das Zimmer unter dem Dach als Abstellraum, aber Sonja hörte nicht auf, es das Kinderzimmer zu nennen.
     
    Am Tag, an dem Iwonas Brief kam, war ich ausnahmsweise nicht mit dem Wagen in die Stadt gefahren. Ich hatte ihn am Morgen in die Werkstatt gebracht, um endlich die Sommerreifen aufziehen zu lassen, und hatte dann die S-Bahn genommen. Es war ein schöner Tag, und nach der Arbeit ging ich zu Fuß zum Bahnhof und dachte über Iwona nach. Die Vorstellung, dass sie immer noch in München wohnte, war mir unangenehm. Seit fast sieben Jahren hatte ich sie nicht gesehen. Es war erstaunlich, dass wir uns in all der Zeit nie zufällig begegnet waren auf der Straße, im Bus oder in einem Geschäft. Ich war mir sicher, ich würde sie sofort erkennen, wenn ich sie sähe. Vielleicht beobachtete sie mich ja, wie damals im Biergarten. Ich blieb ruckartig stehen und drehte mich schnell um. Ein Mann, der dicht hinter mir gegangen war, streifte mich und sagte, Idiot. Von Iwona war nichts zu sehen.
    Ich hatte vorgehabt, Sonja von dem Brief zu erzählen und sie um Rat zu fragen, aber als ich nach Hause kam, sah ich ihr an, dass sie immer noch Kopfschmerzen hatte, und entschloss mich, es nicht zu tun. Sie würde sich nur unnötig Sorgen machen oder misstrauisch werden. Ich würde Iwona anrufen, sie treffen, wenn es nicht zu vermeiden war, und ihr das Geld leihen, vorausgesetzt, der Betrag wäre nicht allzu hoch. Und damit wäre die Sache erledigt.
    Sonja sagte, es gehe ihr besser, morgen könne sie bestimmt wieder arbeiten. Sie hatte sogar etwas gekocht. Ich mache nur schnell einen Anruf, sagte ich und ging in den Keller, wo wir ein kleines Büro eingerichtet hatten.
    Ich schloss die Tür und rief die Nummer in Perlach an. Es meldete sich eine Männerstimme. Ich fragte nach Iwona. Einen Moment bitte, sagte er, und ich hörte Geräusche, eine Tür und ein gedämpftes Murmeln. Dann war es still, und ich wusste, dass Iwona am Apparat war. Ich habe deinen Brief bekommen, sagte ich. Ich wollte nicht, sagte Iwona. Was? Sie um Hilfe bitten. Wieder war es still. Ich werde schauen, was ich machen kann, sagte ich. Ich schwimme nicht in Geld. Iwona schwieg. Es half nichts, ich würde sie wohl sehen müssen. Ich fragte, ob wir uns treffen könnten. Der Mann kam wieder an den Apparat und sagte, Iwona sei krank, wenn ich sie sehen wolle, müsste ich schon vorbeikommen. Seine Stimme klang abweisend, aber ich war froh, dass Iwona jemanden zu haben schien, der sich um sie

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