Sieben Jahre
sagte Antje, das hat Sonja mir erzählt. Ich war einsam, sagte ich, alle meine Freunde hatten die Stadt verlassen, in meinem Büro arbeiteten nur Idioten, und ich lebte mit diesen zwei verrückten Frauen zusammen. Ich glaube, das Schlimmste für Sonja war, dass es die Polin sein musste, sagte Antje, sie hat es nicht verstanden. Sie versteht es bis heute nicht. Sie hat mich geliebt, sagte ich, sie liebt mich immer noch. Es war, als befreie mich das von allen Fragen. Du hast mir in Marseille gesagt, dass ich von Sonja nicht zu viel verlangen dürfe. Von Iwona durfte ich alles verlangen. Je mehr ich von ihr verlangte, desto mehr liebte sie mich. Und warum hast du Sonja dann gefragt, ob sie dich heiraten wolle?, fragte Antje. Ich weiß es nicht, sagte ich, vielleicht habe ich die Verantwortung nicht ertragen. Antje stöhnte laut. Nachdem ich mich von Iwona getrennt habe, habe ich jahrelang nichts von ihr gehört, sagte ich, und ich kann nicht sagen, dass ich sie vermisst habe. Das waren schwierige Jahre. Wir eröffneten unser Büro und nahmen jeden Auftrag an, den wir bekommen konnten, Renovierungen, kleine Sachen, die weder Geld noch Ruhm brachten. Daneben machten wir bei allen möglichen Wettbewerben mit, traten gegen zweihundert andere Büros an. Wir arbeiteten achtzig Stunden die Woche, eigentlich machten wir nichts als arbeiten. Aber es war keine schlechte Zeit. Wir wussten, was wir wollten. Wir wohnten noch in der Dreizimmerwohnung in Schwabing, in einem der Zimmer hatten wir unser Büro eingerichtet. Manchmal kamen wir tagelang nicht aus dem Haus. Ich schlief schlecht und war oft halb tot vor Erschöpfung. Sonjas Eltern boten an, uns zu unterstützen, aber das wollten wir nicht. Dann gewannen wir einen Wettbewerb für ein Schulhaus in Chemnitz. Unser Projekt erregte einiges Aufsehen, und bald bekamen wir mehr Aufträge. Wir konnten die ersten Leute einstellen und größere Räume beziehen. Sonja war der kreative Kopf des Büros. Sie machte die meisten Entwürfe, während ich mich um die Ausführung und die Administration kümmerte. An Iwona dachte ich selten. Ich nahm an, sie sei längst wieder in Polen, als ich einen Brief von ihr bekam.
De r Brief kam zum ungünstigsten Zeitpunkt. Ich hatte tausend andere Dinge am Hals, einen Bau, der kurz vor der Fertigstellung stand und bei dem alles schiefging, ein Bauherr, der mich wegen einer Garantiegeschichte dauernd anrief, ein Wettbewerbskolloquium, auf das ich mich vorbereiten musste. Sonja war schon die ganze Woche zu Hause, sie hatte Migräne und lag im Bett und stand nur abends kurz auf, wenn ich nach Hause kam, aß eine Kleinigkeit mit mir und legte sich wieder hin.
Die Post lag seit dem Mittag auf meinem Schreibtisch, aber ich kam erst am Abend dazu, sie durchzuschauen. Der Brief hatte keinen Absender, er war von Hand adressiert in einer ungeschickten Handschrift, die ich nicht kannte. Ich zog die zwei Blätter aus dem Umschlag, las die Unterschrift, Iwona, und hatte sofort ein ungutes Gefühl. Die Sekretärin war schon im Feierabend, also ging ich selbst in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch und begann zu lesen.
Lieber Alexander, vielleicht können Sie sich noch an mich erinnern. Nach allem, was geschehen war, schien es mir absurd, dass Iwona mich siezte. Natürlich konnte ich mich an sie erinnern. Ich hatte mich manchmal gefragt, was aus ihr geworden war, aber ich hatte nie versucht, es herauszufinden. Sie schrieb, sie denke jeden Tag an mich und an die schöne Zeit, die wir miteinander verbracht hätten. Sie habe mir oft schreiben wollen, um mich um ein Wiedersehen zu bitten, aber dann habe sie erfahren, dass ich verheiratet sei, und sie habe mich nicht stören wollen. Ich hätte bestimmt viel zu tun, sie lese von mir in der Zeitung und sei dann stolz, mich zu kennen.
Einen Moment lang hatte ich den absurden Gedanken, Iwona wolle mich erpressen, aber es gab nichts, womit sie mich hätte unter Druck setzen können. Sonja wusste von der Affäre, und nach jener Nacht, in der ich ihr davon erzählt hatte, hatte ich Iwona nicht mehr gesehen, war einfach nicht mehr hingegangen, und sie hatte sich nie gemeldet. Ich hatte mich ihr gegenüber schlecht benommen, aber das war kein Verbrechen.
Sie schriebe mir, las ich weiter, weil sie in Schwierigkeiten sei. Sie sei immer noch illegal in Deutschland und schlüge sich mit schlechtbezahlter Schwarzarbeit durch, putze und hüte Kinder und mache manchmal kleine
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