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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Zeit, als wir unser Büro gegründet hatten. Das meiste erschien mir erschreckend banal. Aber ich spürte in den Entwürfen noch die Stimmung, in der ich in jener Zeit gewesen war, die Entschlossenheit, mit der ich versucht hatte, neue Wege zu gehen. Nichts war mir damals heilig gewesen, nichts schien unmöglich. Bei aller Beschränktheit der Arbeiten steckte doch eine Art Wahrheit in ihnen, eine Frische, die unsere jetzigen Entwürfe nicht mehr hatten. Ich verstand Architekten wie Boullée, die sich irgendwann ganz auf das Zeichnen verlegt hatten ohne den Ehrgeiz, jemals eins von ihren Werken verwirklicht zu sehen. Nur in der fiktiven Welt der Pläne und Skizzen war man frei, alles so zu machen, wie man es sich vorstellte. Ich fing an, abends zu zeichnen, meist überdimensionierte Innenräume, leere Hallen mit dramatischen Lichteffekten, sakrale Bauten, Labyrinthe und unterirdische Anlagen. Ich zeigte Sonja die Zeichnungen nicht, sie hätte mich bestimmt für verrückt gehalten, und auch ich nahm die Arbeiten nicht wirklich ernst.
    Ich war zufrieden. Ich mochte es, auf die Baustellen zu fahren und mit den Handwerkern und den Fachplanern zu diskutieren und zu sehen, wie unsere Pläne Wirklichkeit wurden. Sonja sagte manchmal, sie wünsche sich mutigere Auftraggeber, aber ich glaube, im Großen und Ganzen war auch sie zufrieden. Die beschränkten Mittel und die engen Vorgaben schienen ihre Kreativität anzuregen. Ich glaube nicht, dass sie als Angestellte im Büro eines Stararchitekten glücklicher gewesen wäre. Ein paar unserer Praktikantinnen hatten den Sprung ins Ausland geschafft. Heike, eine junge, sehr talentierte Frau aus Norddeutschland, die bei uns ihr Pflichtpraktikum gemacht hatte, ging nach dem Diplom zu Norman Foster nach London. Als sie uns einmal besuchte, sprach sie nur über ihre Arbeit. Sie lebte alleine in einem winzigen Loch, hatte keine Beziehung und kaum Freunde außerhalb des Büros. Doch während Heike erzählte, begannen Sonjas Augen zu glänzen, und sie stellte viele Fragen und wollte alles ganz genau wissen. Das klingt wie aus dem Leben einer Nonne, sagte ich. Heike lachte. Ja, in gewissem Sinne sei es das auch. Man müsse dazu berufen sein.
    Inzwischen arbeiteten mehr als zwanzig Leute für uns. Wir hatten vor kurzem neue Räume bezogen in einer alten Fabrik, die wir nach unseren Vorstellungen umgebaut hatten. Zur Eröffnung hatte ich Sonja das gerahmte Zitat von Le Corbusier geschenkt:
Alles ist anders. Alles ist neu. Alles ist schön
. Sie hängte es über ihren Schreibtisch und sagte, alles ist so, wie es sein soll.
     
    Die Krise begann bei uns später als in anderen Büros. Sie fing schleichend an, ich und mein Team kamen kaum nach mit der Arbeit, aber wir erhielten keine neuen Aufträge. Erst war uns die Entlastung nicht unwillkommen. Sonja sagte, jetzt habe sie endlich wieder Zeit, sich grundsätzliche Gedanken zu machen, zu lesen, an Ideenwettbewerben teilzunehmen. Aber die Löhne und die Miete mussten bezahlt werden. Ich versuchte, Sonja den Rücken so gut wie möglich freizuhalten, trotzdem entging ihr nicht, wie es um das Büro stand. Wir mussten einige Leute entlassen. Ich bat Sonja, die Entlassungsgespräche zu führen, es waren ihre Leute, und sie war beliebter bei den Angestellten als ich. Die ersten Schreibtische wurden geräumt, ein Teil der Büros untervermietet, und es machte sich eine deprimierte Stimmung breit. Ich merkte, dass hinter unserem Rücken geflüstert wurde. Meine Sekretärin erzählte mir, worüber die Leute sprachen. Sie waren der Meinung, Sonja und ich zahlten uns zu hohe Gehälter aus und pflegten einen zu luxuriösen Lebenswandel. Finden Sie das auch? Natürlich nicht, sagte sie, ich sehe ja, wie viel Sie arbeiten. Wir beriefen eine Mitarbeitersitzung ein und legten die Zahlen auf den Tisch. Danach verstummte das Getuschel, aber die Stimmung wurde nicht besser.
    Die Situation schlug auf unsere Gesundheit. Sonja bekam einen Hautausschlag, der sie einige Wochen lang plagte, und mein Rücken machte mir, nachdem ich jahrelang Ruhe gehabt hatte, wieder zu schaffen. Ich zeichnete immer öfter bis in die Nacht hinein. Am Morgen hatte ich Mühe aufzustehen, und nach einem Tag im Büro war ich müde und erschöpft.
    Anfang Juni wurde es sehr heiß. Ich war den ganzen Tag auf einer Baustelle gewesen und danach mit dem Bauherrn in einem Biergarten. Ich saß auf einer Bank ohne Lehne, und mein Rücken tat weh. Der Biergarten war voller schöner junger Menschen in

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