Sieben Jahre
sofort, dass sie es war, obwohl ihr Gesicht auf dem Bild kaum zu sehen war. Ich erkannte sie an ihrer Haltung, an den hängenden Schultern und den in die Augen fallenden Haaren. Sie stand alleine da, es sah aus, als habe sich im Getümmel eine Lücke gebildet für sie, als seien alle ein wenig von ihr abgerückt. In ihren Augen waren rote Punkte. Ich hatte das Gefühl, sie schaue mich an.
So phie wachte früh auf und kam zu uns ins Schlafzimmer und ließ uns keine Ruhe, bis ich aufstand. Ich sagte zu Sonja, sie könne ruhig noch etwas liegen bleiben. Aber weck mich nicht zu spät, sagte sie und drehte sich um. Sophie schien den gestrigen Vorfall vergessen zu haben. Als Mathilda angerannt kam, nahm sie sie auf den Arm und streichelte und küsste sie. Ich wollte mich bei ihr entschuldigen, ich hatte überreagiert und hätte sie nicht ohne Abendessen ins Bett schicken dürfen. Aber sie war, wie oft, nachdem wir uns gestritten hatten, so anhänglich und lieb, dass ich nichts sagte und nur den Frieden genoss. Komm, wir gehen Brötchen kaufen, sagte ich, zieh dich warm an.
Der Morgen war neblig und so kalt, dass unser Atem kondensierte und im Nebel aufging wie in einem größeren Atem. Sophie nahm meine Hand, was sie nur noch selten tat, und gemeinsam gingen wir den Berg hinunter zur einzigen Bäckerei, die am Sonntag um diese Zeit geöffnet hatte. Auf dem Nachhauseweg fragte Sophie, ob ich Nebel gern habe. Ja, sagte ich, und du? Ich auch. Sie fragte, ob ich nach Marseille ziehen wolle. Wie kommst du darauf? Sie sagte, Mama habe sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, da zu leben. Und was hast du gesagt? Sophie zuckte mit den Schultern. Ich sagte, Marseille sei eine schöne Stadt, aber leben möchte ich da nicht. Ich auch nicht, sagte Sophie. Du redest mir nach dem Mund. Nein, sagte sie, wir haben einfach denselben Geschmack.
Als wir nach Hause kamen, war Sonja aufgestanden und bereitete in der Küche das Frühstück vor. Ich setzte mich an den Küchentisch und schaute zu, wie sie die Brötchen aufschnitt, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank nahm und auf einem Teller anrichtete. Sie kochte Eier und goss Kaffee auf. Sie bat Sophie, den Tisch zu decken, und fragte mich, ob ich ein Glas frisch gepressten Orangensaft wolle. Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Ich sagte, ich sei etwas müde, ich hätte gestern noch lange mit Antje gesprochen und danach hätte ich nicht schlafen können. Auch Sonja sah aus, als habe sie nicht gut geschlafen. Sie drehte sich schnell um, und ich fragte mich, ob sie ahnte, worüber wir gesprochen hatten. Ich dachte an die Frage, die Antje mir nach der Vernissage gestellt hatte: ob ich Sonja je geliebt habe. Ich fragte mich, ob Sonja mich liebte. Sie hatte unsere Beziehung einmal mit einem Haus verglichen, an dem wir zusammen bauten, etwas, was nicht in dem einen oder dem anderen war, sondern was entstand aus unserem gemeinsamen Willen. In diesem Haus gebe es viele Räume, hatte sie gesagt, ein Ess- und ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und einen Speicher für die gemeinsamen Erinnerungen. Und was ist mit dem Keller, hatte ich gefragt, aber sie hatte nur gelacht.
Schaust du mal nach Antje?, bat Sonja. Wollen wir sie nicht schlafen lassen?, fragte ich. Aber Sonja meinte, Antje wolle bestimmt mit uns frühstücken, wenn sie schon mal nicht alleine sei. Ich glaube nicht, dass ihr das Alleinsein etwas ausmacht, sagte ich. Täusch dich nicht, sagte Sonja. Niemand ist gern allein. Ich ging hinunter und klopfte an die Tür des Gästezimmers. Ja?, rief Antje und ich trat ein. Sie lag auf dem Boden, bekleidet mit Leggins und einem Unterhemd, und machte Sit-ups. Ihr Körper sah nicht aus wie der einer fast Sechzigjährigen. Ich sagte, das Frühstück sei fertig. Sie streckte mir die Hand hin, und ich half ihr auf. Ich komme gleich, sagte sie etwas außer Atem, ich dusche nur noch schnell. Ich fragte, ob sie jeden Morgen Gymnastik mache? Ich habe einen jungen Liebhaber, sagte sie mit ironischem Lächeln, da muss ich mich schon ein wenig in Form halten. Wie jung? Er ist halb so alt wie ich, sagte sie und zog die Augenbrauen hoch, ein junger Wilder. Und? Liebst du ihn? Antje lachte. Die Frage hast du mir übel genommen, was? Ich liebe ihn, wenn ich mit ihm zusammen bin. Aber ich vermisse ihn nicht, wenn er nicht da ist. Es ist einfach und gut, so wie ich es mir immer gewünscht habe. Sieht er das auch so?, fragte ich. Antje lächelte. Ich glaube schon. Er ist
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