Sieben Jahre
ist, dann seid ihr es in eurer Borniertheit, sagte ich, ihr mit eurem ordentlichen Leben. Ich möchte sehen, wie ihr mit tausend Mark im Monat durchkommt. Sonjas Vater blieb ganz ruhig. Auch ihnen sei es nicht immer so gut gegangen wie heute. Im Gegensatz zu mir wisse er, was es heiße, arm zu sein, wirklich arm. Als man nach dem Krieg nicht gewusst habe, was man morgen esse werde und so weiter. Das gibt dir noch lange nicht das Recht, andere Leute zu verurteilen, sagte ich. Er lächelte gutmütig. Diese Seite kenne ich gar nicht an dir, den Sozialisten. Ich sagte, ich müsse noch ein paar Anrufe machen, und ging in mein Büro im Untergeschoss.
Im Grunde verachtet er mich, dachte ich, die Tatsache, dass ich es nicht geschafft hatte, seine Tochter zu schwängern, seine Gene weiterzuverbreiten. Mit den Kindern von Sonjas Schwester Carla war er ganz anders als mit Sophie, nicht liebevoller, vielleicht sogar strenger. Aber er nahm sie ernst, forderte sie heraus und erwartete viel von ihnen. Sophie hingegen behandelte er mit fast schon beleidigender Nachsicht. Das ist nur, weil sie die Kleinste ist, sagte Sonja. Und weil sie ein Mädchen ist. Nimm ihn noch in Schutz, sagte ich. Wenigstens war das Thema Adoption von diesem Tag an tabu.
Sosehr ich Sonjas Vater widersprochen hatte, das Gespräch tat seine Wirkung. Ich wunderte mich immer mehr, dass Iwona sich nie meldete. Sie musste wissen, dass ich ihr das Kind nicht vorenthalten würde, dass ich nichts dagegen hätte, wenn sie gelegentlich – und sei es unter einem Vorwand – einen Nachmittag mit Sophie verbrächte. Je länger ich darüber nachdachte, desto herzloser fand ich ihr Verhalten. Wenn ich Iwona erwähnte, sagte Sonja kein Wort. Über alles andere konnten wir jetzt viel besser reden als früher. Es mag sein, dass unsere Beziehung sachlicher wurde, aber sie bekam durch die gemeinsame Verantwortung eine neue Qualität. Sophie war das herausforderndste Projekt, das wir je miteinander gehabt hatten. Dabei war sie noch immer kein schwieriges Kind. Sie hatte einen starken Willen, aber sie setzte ihn nicht wie andere Kinder mit Schreien und Trotzen durch. Wenn wir sie ermahnten, uns zu gehorchen, schaute sie uns nur schweigend an und tat, kaum hatten wir uns abgewandt, was sie wollte. Im Grunde waren wir wohl ganz froh, dass sie nicht viel Aufmerksamkeit brauchte und zufrieden war, wenn man sie nur in Ruhe ließ und nicht zu viel von ihr verlangte.
Den Schuleintritt schaffte sie nicht ohne weiteres. Die Kindergärtnerin sagte, Sophie sei emotional noch nicht reif genug. Sonja reagierte empört. Ein paar Tage später brachte sie Unterlagen einer Waldorfschule in Schwabing mit nach Hause. Ich war nicht begeistert von der Idee. Das wenige, was ich über Rudolf Steiner wusste, war mir suspekt, seine Auffassung von Architektur fand ich, gelinde gesagt, schwachsinnig. Jemand hatte ihn mal einen verzückten Dorfschullehrer genannt, eine Bezeichnung, die mir ziemlich treffend erschien. Auch der Lehrplan der Schule überzeugte mich nicht. In der Geometrie nehmen sie nordische Flechtbandmuster durch, sagte ich, weißt du, was das ist? Sonja schüttelte den Kopf. Bestimmt nichts Unanständiges. Eurythmie, las ich, Umsetzen von Formen der Sprache in Bewegung. Ich schaute Sonja an. Es ist ja nur für den Anfang, sagte sie. Außerdem ist es eine Tagesschule, und sie kochen mit Lebensmitteln aus biologischem Anbau.
Wir besichtigten die Schule mit Sophie zusammen, und sie schien sich sofort wohl zu fühlen dort. Ein älteres Mädchen führte uns durch das Gebäude und zeigte uns alles. Sie trug ein T-Shirt, auf dem stand: Ich kann meinen Namen tanzen. Ich schaute Sonja an und grinste. Sie machte mir ein Zeichen, ich solle den Mund halten.
Ich hatte mich inzwischen besser über Rudolf Steiner informiert und stellte dem Schulleiter ein paar kritische Fragen, aber er antwortete ausweichend, und ich hatte das Gefühl, er habe selbst eine gesunde Distanz zu den abseitigeren Ideen des Meisters. Schließlich entschieden wir uns, Sophie versuchsweise in die Schule zu schicken.
Das Büro lief gut. Wir hatten uns auf Schulhäuser und auf sozialen Wohnungsbau spezialisiert und hatten viel zu tun. Sonja und ich waren in jeder Beziehung ein gutes Team. Die Arbeitsteilung war noch stärker geworden, seit Jahren hatte ich nichts mehr entworfen. Manchmal holte ich meine alten Sachen hervor, die Projekte, die ich an der Universität erarbeitet hatte, und Wettbewerbsarbeiten aus der
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