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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Hand losmachte und wütend ein paar Schritte vor uns weiterging. Zu Hause verschwand sie im Büro und tauchte erst wieder auf, als ich sie zum Abendessen rief. Dann war sie gut gelaunt und sagte, sie habe noch einiges erledigen können. Sei nicht so streng zu Sophie, sagte ich. Ich bin nicht streng, sagte Sonja, aber sie weiß ganz genau, wie sie mich wütend machen kann.
    Während des Abendessens schielte Sophie immer wieder zu Sonja. Sie rümpfte die Nase, und ihr Blick hatte etwas Lauerndes. Nach dem Essen spielte sie für sich, aber sie blieb immer in der Nähe von Sonja, bis diese sie fragte, ob sie wieder Frieden machen wollten.
     
    Sonjas Eltern kamen jetzt öfter zu Besuch als früher. Sie verhätschelten Sophie und brachten ihr jedes Mal teure Geschenke mit, aber sie ließen keine Gelegenheit aus zu erzählen, wie aufgeweckt Sonja als Baby gewesen sei. Sonjas Vater hatte alle möglichen Bücher über Adoption gelesen und war zu einem vehementen Gegner geworden. Vor allem die Texte eines ehemaligen Priesters, der sich zum Psychotherapeuten hatte weiterbilden lassen, hatten es ihm angetan. Der behauptete, Adoptiveltern könnten die leiblichen Eltern niemals ersetzen und sollten es auch gar nicht versuchen. Dem Adoptivkind seien seine leiblichen Eltern zuzumuten, es müsse erfahren, was diese ihm verweigerten, nur so könne es sich von seiner Herkunft lösen und ein gutes Verhältnis zu den Adoptiveltern aufbauen.
    Sonjas Vater saß auf dem Sofa, die Beine gespreizt. Er schaute uns einen nach dem anderen an, als werde er gleich etwas ganz Wichtiges sagen. Dann fixierte er mich und sagte, noch besser wäre es, Kinder nur in Pflege zu geben und die Adoption ganz abzuschaffen. Ich stand auf und sagte, das sei Schwachsinn. Sophie müsse ja gar nie erfahren, dass sie adoptiert sei. Einem Kind die Adoption zu verschweigen, hat oft schlimme Folgen, sagte Sonjas Vater. Kinder spürten sowieso früher oder später, dass etwas nicht stimme. Zurwehme sei so ein Fall gewesen, ob wir uns an ihn erinnerten. Er hatte sich jetzt vorgebeugt und schaute Sonja an. Ein Mörder und Vergewaltiger.
    Dieter Zurwehme war vor einigen Jahren nach einer spektakulären Flucht festgenommen worden, sein Name hatte in allen Zeitungen gestanden. Er sei das Kind einer Deutschen und eines polnischen Zwangsarbeiters gewesen und gleich nach der Geburt weggegeben worden, erzählte Sonjas Vater. Mit elf Jahren habe er einen Brief seiner leiblichen Mutter gefunden. Sorgt gut für mein Herzchen. Aber seine Adoptiveltern hätten sich geweigert, ihm von seinen Eltern zu erzählen. Von diesem Moment an sei es mit ihm bergab gegangen. Er habe sich allen Erziehungsversuchen widersetzt und mit zwölf einen ersten Raubüberfall auf eine Fünfzehnjährige unternommen. Den Rest der Geschichte kennt ihr, sagte Sonjas Vater.
    Ich konnte nur lachen. Glaubst du, Sophie wird zu einer Massenmörderin? Und was schlägst du vor, sollen wir tun? Sie vor die Tür setzen? Auch Sonja fand, ihr Vater übertreibe. Sie war aufgestanden und neben mich getreten. Ihr Vater blieb ganz ruhig, er lehnte sich wieder zurück. Wir wüssten genau, dass sie unser Sophiechen über alles liebten und dass sie unsere Entscheidung respektierten. Er fände nur, wir sollten ihr möglichst bald die Wahrheit sagen und ihr die Möglichkeit geben, ihre leiblichen Eltern kennenzulernen. Sonjas Eltern wussten nicht, dass Sophie mein Kind war, wir hatten ihnen erzählt, es handle sich um eine Inkognito-Adoption und wir wüssten nicht, wer die Eltern seien. Sie ist fünf, sagte ich.
    Ein Kind wegzugeben sei ein Angriff auf das Leben, auf die Ordnung der Dinge, zitierte Sonjas Vater seinen Priestertherapeuten, ein Kind zur Adoption freizugeben sei in gewissem Sinne dasselbe wie eine Abtreibung. Man räume dem Kind in seinem Leben keinen Platz ein. Die leiblichen Eltern fühlten sich oft des Todes ihrer Kinder schuldig und seien deshalb selbstmordgefährdet. Es gebe auch Fälle, in denen sich die Schuldgefühle der Eltern auf die Kinder übertrügen und diese sich das Leben nähmen.
    Ich hätte ihn ohrfeigen können. Es gibt gute Gründe, ein Kind zur Adoption freizugeben, sagte ich, es gibt Leute, denen es nicht so gut geht wie euch. Es war das erste Mal, dass ich für Iwona Partei ergriff. Armut ist keine Entschuldigung für emotionale Abstumpfung, sagte Sonjas Vater. Sophie war hereingekommen, und er nahm sie auf die Knie, als wolle er sie vor uns beschützen. Wenn hier jemand emotional abgestumpft

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