Sieben Jahre
von Sonjas Fotoalben, ein Bild von einer Party, auf dem sie nur ganz klein zu sehen war.
Ich zog meine Brieftasche hervor und reichte Antje das Bild. Da hatte ich mein Ziel. Ich musste Iwona finden. Ich weiß auch nicht, was ich mir davon versprach.
Es war nicht ganz einfach gewesen, Iwonas Adresse herauszubekommen. Ihr Name stand nicht im Telefonbuch, und beim polnischen Konsulat sagte man mir, wenn Iwona nicht gemeldet sei, könne man mir nicht weiterhelfen. Bei der Verwaltung des Hauses, in dem sie früher gewohnt hatte, kannte man ihren Namen nicht, vermutlich hatte sie damals zur Untermiete gewohnt. Schließlich rief ich bei der polnischen Mission an. Die Frau, die den Anruf entgegennahm, bat mich vorbeizukommen.
Die Mission war in einem unscheinbaren Gebäude untergebracht. Ich klingelte, und eine vielleicht fünfzigjährige, sympathisch aussehende Frau öffnete die Tür. Ich stellte mich vor, und sie nannte ihren Namen, den ich sofort wieder vergaß, und führte mich in ihr Büro. Draußen hatte eine helle Junisonne geschienen, aber im Büro war es schummrig, obwohl der Raum sehr hoch war. Die Frau setzte sich hinter ihr Pult und zeigte auf einen Stuhl, der aussah, als stamme er aus dem Trödel. Ich hätte Glück, sagte sie, heute Morgen sei es ruhig. Ich fragte sie nach ihrer Arbeit, und sie erzählte von den Problemen ihrer Landsleute in Deutschland, von lächerlich geringen Löhnen, langen Arbeitszeiten und Missbrauch. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass so viele Polen in der Stadt lebten. Vermutlich um die zehntausend, sagte die Frau, niemand wisse das so genau. Und jetzt werden es wohl noch mehr, sagte ich. Man wird sehen, sagte sie. Sie glaube nicht, dass der EU -Beitritt viel an der Situation ändern werde. Die Frauen, die schwarz arbeiteten, wollten sich nicht anmelden, um von ihrem ohnehin schon geringen Lohn nicht noch Sozialabgaben zahlen zu müssen. Die meisten würden wohl illegal im Land bleiben.
Ich hatte mir eine Geschichte ausgedacht, aber die Frau war mir sympathisch und wirkte so verständnisvoll, dass ich mich entschloss, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie hörte aufmerksam zu, während ich ihr das Nötigste erklärte. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe, sagte ich schließlich. Ich erwartete, dass sie nun sagen würde, es sei das Beste für das Kind gewesen, aber sie nickte nur. Es ist wohl das Beste für das Kind gewesen, sagte ich. Das kann man nicht wissen, sagte sie. Jedenfalls möchte ich Iwona kontaktieren und ihr sagen, dass es Sophie gut geht, und ihr die Möglichkeit geben, sie zu sehen. Warum gerade jetzt? Ich konnte es nicht sagen. Ich hoffe, es geht nicht nur darum, Ihr Gewissen zu beruhigen, sagte die Sachbearbeiterin und ging zu einem großen Aktenschrank aus grau lackiertem Blech und öffnete eine Schublade. Wie war noch der Nachname? Ich reichte ihr die Geburtsurkunde von Sophie.
Es dauerte eine Weile, dann zog sie eine dünne Mappe aus dem Hängeregister und öffnete sie. Vor drei Jahren war sie hier. Sie brauchte Geld für eine Operation. Aber wir haben keine Mittel, wir können die Leute nur beraten. Wir haben sie an einen Arzt verwiesen, der Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung unentgeltlich behandelt.
Sie habe in den Unterlagen eine Adresse, sagte sie, aber sie wisse nicht, ob diese noch aktuell sei. Eine Telefonnummer habe Iwona nicht angegeben. Sie zögerte einen Moment, dann schrieb sie die Adresse auf einen Zettel und reichte ihn mir.
Noch am selben Tag fuhr ich zu der Adresse, einem Mietshaus in Perlach, nicht weit von Iwonas früherer Wohnung. Ich fand einen Parkplatz, von dem aus ich den Eingang des Gebäudes beobachten konnte. Ich wartete eine Weile, dann rief ich im Büro an und sagte die zwei Termine ab, die ich an diesem Nachmittag hatte. Die Sekretärin fragte, ob ich später vorbeikäme. Ich sagte, ich wisse es noch nicht.
Es waren kaum Menschen auf der Straße. Obwohl das Haus riesig war und gegen fünfzig Wohneinheiten umfasste, kam lange niemand heraus, und niemand ging hinein. Im Auto wurde es immer wärmer, und nach vielleicht einer halben Stunde stieg ich aus und ging zur Tür. Auf den Schildern neben den Klingelknöpfen standen nur ausländische Namen, aber den von Iwona fand ich nicht.
Ich wartete. Nach einiger Zeit kam eine alte Frau aus dem Haus, und ich fragte sie nach Iwona. Ohne mich anzuschauen, schüttelte sie den Kopf und ging davon. Etwas später kam eine dicke junge Frau mit einem Kinderwagen die Straße entlang und auf
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