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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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wenn sie ihre Cousine auf mich angesprochen habe, habe sie gesagt, Alexander sei ihr Mann. Das sei alles, was aus ihr herauszubekommen gewesen sei zu dem Thema. Wenn sie versucht habe, Iwona mit einem anderen Mann zusammenzubringen, habe sie dasselbe gesagt. Ich habe schon einen Mann.
    Kommen Sie mit, sagte sie und führte mich in das Zimmer direkt gegenüber der Küche. Es war noch vollgestopfter als damals Iwonas Wohnung. Die Vorhänge waren zugezogen, trotzdem war es sehr warm im Zimmer, und alles war in ein rotes Licht getaucht. Ewa öffnete die oberste Schublade eines kleinen Schreibtisches, zog ein dickes Album heraus und öffnete es. Auf der ersten Seite stand in Schönschrift »Alexander«. Mein Name war unterstrichen und mit Blumenranken dekoriert, die aussahen, als habe ein Kind sie gezeichnet. Darunter war, mit Klebeband befestigt, eine Haarlocke. Ich konnte mich nicht erinnern, Iwona jemals eine gegeben zu haben. Die folgenden Seiten waren vollgeklebt mit Fotos von mir und von Dingen und Orten, die irgendwie mit Iwona und mir in Verbindung standen. Ich erkannte den Biergarten, in dem wir uns getroffen hatten, den Pullover, den Iwona für mich gestrickt hatte, das Hinterzimmer der Buchhandlung. Die Bilder von mir hatte sie nicht selbst gemacht. Zwei oder drei hatte ich ihr gegeben, nachdem sie mich darum gebeten hatte, eines stammte aus der Diplomzeitung, die wir am Schluss des Studiums herausgegeben hatten, einige aus Architekturzeitschriften oder aus Zeitungen. Die dazugehörigen Artikel hatte Iwona nicht eingeklebt, und sie hatte auch nichts in das Album geschrieben. An ein Bild erinnerte ich mich gut. Es zeigte mich und Sonja beim Richtfest einer Schule, die wir vor einigen Jahren gebaut hatten. Wir hatten Sophie zur Feier mitgenommen, und auch sie war auf dem Bild, obwohl ich das nicht gewollt hatte. Iwona hatte nur den Teil des Bildes eingeklebt, auf dem ich zu sehen war, Sonja und Sophie hatte sie weggeschnitten. Auf einigen Seiten waren Bilder von irgendwelchen Liebespaaren aus Illustrierten, Werbebilder, Paare, die bei Sonnenuntergängen an Seen saßen, die Hand in Hand über grüne Wiesen gingen, eine Frau und ein Mann in Schlafanzügen, die sich gegenseitig die Zähne putzten. Auf einer der letzten Seiten waren Bilder von Tutzing und von unserem Haus. Die habe ich noch gar nicht gesehen, sagte Ewa, die muss sie kürzlich gemacht haben. Ist das Ihr Haus? Ich nickte.
     
    Wir saßen in der Küche, und Ewa erzählte mir von Iwonas Familie. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Sprengmeister gewesen. Er hatte viel Zeit im Ausland verbracht, auf Baustellen überall auf der Welt. Der sozialistischen Welt, fügte Ewa lächelnd hinzu.
    Iwona war ein Einzelkind. Ihre Eltern waren bei der Geburt schon Mitte dreißig gewesen. Beide waren sehr religiös, aber sie machten nicht viel Aufhebens um ihren Glauben, um ihre Karrieren nicht zu gefährden. Iwona war ihr Ein und Alles, sie verwöhnten und verhätschelten sie. Ich weiß noch, wie ich sie beneidet habe, sagte Ewa. Sie hatte unglaublich viele Spielsachen, wunderbare Puppen, die ihr Vater ihr aus Afrika mitgebracht hatte und aus dem Kaukasus. Wenn wir die Familie besuchten, gab es jedes Mal Streit. Niemand durfte Iwonas Sachen anfassen. Sie kriegte hysterische Anfälle, wenn man nur ihr Zimmer betrat. In der Schule habe Iwona ziemlich viele Probleme gemacht. Sie sei keine schlechte Schülerin gewesen, aber eine Außenseiterin. Soviel Ewa wusste, hatte sie nie enge Freundinnen gehabt. Sie sei extrem schweigsam und zugleich störrisch gewesen. Eine Zeit lang habe man sie deswegen therapiert. Auch darum habe sie Iwona beneidet, dass sie so viel Aufmerksamkeit bekam. Immer war etwas los mit ihr. Sie war oft krank, hatte diffuse, lang anhaltende Beschwerden, die dazu führten, dass sie häufig in der Schule fehlte.
    Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der eines Morgens als Käfer aufwacht, fragte Ewa. Ich nickte. So sei ihr Iwona manchmal vorgekommen, sagte sie, wie ein fremdes, gefühlloses Wesen, das sich bei ihren Eltern eingenistet habe. Sie haben alles für sie getan, aber ich glaube, sie ist ihnen immer irgendwie fremd geblieben. Es war, als habe sie einen Panzer, den niemand durchdringen konnte.
    Ich fragte, ob Iwona damals schon religiös gewesen sei. Nicht besonders, sagte Ewa, dazu ist sie viel zu selbstsüchtig. Sie zögerte. Doch, eine Zeit lang hat sie gesagt, sie will in ein Kloster gehen. Aber das war vermutlich auch nur eine von ihren

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