Sieben Jahre
aus einer anderen Generation. Wir machen uns nichts vor. Antjes Lächeln bekam etwas Wehmütiges. Irgendwann wird er wohl genug von mir kriegen und sich eine andere Geliebte suchen. Ich genieße es, so lange es dauert. Sie dachte nach, dann sagte sie, wir lachen viel, weißt du. Sie stützte die Hände ins Kreuz und streckte die Brust heraus, und in einer Art Reflex fuhr ich mit der Hand über ihr kurz geschnittenes Haar. Raus jetzt, sagte sie, sonst habe ich noch eine eifersüchtige Ehefrau am Hals.
An diesem Tag wollte der Nebel sich nicht auflösen, und wir blieben lange am Frühstückstisch sitzen. Sophie war in ihrem Zimmer und machte Hausaufgaben. Und was hast du vor?, fragte Sonja. Ich fragte, ob sie ihre Ruhe wollten vor mir, und Sonja nickte. Alte Erinnerungen. Ich glaubte ihr nicht. Sie war die Letzte, die sich für die Vergangenheit interessierte. Ich bin im Büro, sagte ich und ging nach unten.
Die Tür zum Gästezimmer stand offen, und ich blieb davor stehen und lauschte auf die leisen Stimmen der beiden Frauen aus dem oberen Stockwerk. Dann trat ich ein. Antjes Reisetasche stand weit offen auf dem Boden, am Tragegurt noch das Etikett mit der Flugnummer und dem Flughafenkürzel von München. Neben der Tasche lagen achtlos hingeworfen ihre Leggins und das Unterhemd und ein zerschlissener Krimi von Simenon,
La chambre bleue
. Ich griff in die Tasche und schob die obersten Kleider etwas beiseite. Darunter war ein Knäuel aus Spitzenunterwäsche, eine durchsichtige versiegelte Tüte aus dem Marseiller Duty-free-Shop, in der eine Flasche schwedischer Wodka steckte, ein Ladegerät für ein Mobiltelefon. Zuunterst in der Tasche war ein Skizzenblock. Ich zog ihn hervor und blätterte darin. Er war leer.
Im Gästebad stand Antjes Necessaire, das überquoll von kleinen Fläschchen und Dosen. Ich las die Namen der Produkte, Hautcremes und Puder, Teershampoo und Zahnpaste für empfindliche Zähne und Kontaktlinsenflüssigkeit, Aspirin und Tabletten gegen Sodbrennen.
Ich trat ans Fenster des Gästezimmers und zog den Rollladen hoch und schaute hinaus in den Nebel, der dichter war als an den vergangenen Tagen. Alles schien mir sehr gegenwärtig. Ich hatte das Gefühl, als sei in diesem Moment alles möglich, als könnte ich aus dem Haus gehen und nie mehr wiederkommen. Es war ein Gefühl, das zugleich beängstigend war und befreiend.
Ich zog meinen Mantel an und ging nach draußen. Der Vorplatz, den ich gestern gekehrt hatte, war schon wieder voller verwelkter Blätter. Ich ging die Straße entlang, langsam und ohne Ziel. Mir fiel ein, wann ich dieses bedrohliche Gefühl von Freiheit zum letzten Mal gehabt hatte. Es war am Morgen nach der ersten Nacht mit Iwona gewesen, als ich vor dem Wohnheim stand und die Vögel unglaublich laut sangen und ich das Gefühl hatte, sehr erwachsen zu sein und mein Leben in der Hand zu haben. Es war mir, als sei ich jahrelang durch einen Tunnel gegangen und endlich herausgekommen und stünde nun auf einer weiten Ebene und könnte in jede beliebige Richtung gehen.
Die Straße endete in einem Wendeplatz. Dort war eine große Wiese, auf der, hinter einem elektrischen Zaun, ein paar Kühe weideten. Die großen Tiere dampften im Nebel. Als ich am Zaun stehen blieb, hob eine Kuh den Kopf und schaute kurz zu mir herüber. Sie machte einen Schritt auf mich zu, schien es sich dann anders zu überlegen und graste weiter. Aus der Ferne war das Geräusch eines Laubbläsers zu hören und die Glocken der Kirche, die zehn schlugen.
Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich um. Es war Antje. Sie trat neben mich, den Blick auf die Kühe gerichtet. Die sind gar nicht so einfach zu malen, sagte sie nach einer Weile, besonders das Hinterteil. Ich fragte, wo Sonja sei. Antje antwortete nicht. Du wolltest mir doch deine Geschichte zu Ende erzählen. Komm, sagte ich und drehte mich um, beim Gehen kann ich besser erzählen. Antje hakte sich bei mir ein, und wir gingen die Straße hinunter in Richtung des Zentrums. Ich erzählte ihr vom Anfang der Krise. Es war das erste Mal, dass es mit unserem Büro nicht aufwärtsging. Vielleicht war es das, was mich so entmutigt hat. Schon vorher war es schwierig gewesen, aber wir hatten immer ein Ziel gehabt, das wir irgendwann auch erreichten. Vor drei Jahren hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, es könne nur noch schlechter werden. Vermutlich habe ich deshalb wieder angefangen, an Iwona zu denken. Ich habe durch Zufall ein Bild von ihr gesehen in einem
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