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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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die Menschen da seien. Ich hatte gesagt, ich wisse es nicht, und sie hatte mit ihrer lehrerhaften Art erwidert, die Menschen seien dazu da, die Tiere zu pflegen. Ja, vielleicht, sagte ich, warum nicht. Es ist so, sagte Sophie mit dem Selbstbewusstsein einer Siebenjährigen. Ich fragte mich, wie Iwona die Frage beantwortet hätte. Sie hatte alles verloren, was man verlieren konnte, aber sie wusste, wozu sie da war. Sie hatte ein Ziel, und wenn es noch so unsinnig war. Vielleicht hatte Ewa recht, vielleicht war Iwona glücklicher als wir.
    Ich rief Sonja an und landete aber auf ihrer Mailbox. Im Büro sagte man mir, sie sei schon nach Hause gefahren. Sie hätten mich überall gesucht, sagte die Sekretärin, ich solle dringend zu Hause anrufen.
    Sonja nahm das Telefon ab. Ich sagte, ich hätte ihren Anruf nicht gehört. Sie schnitt mir das Wort ab. Wir sind zahlungsunfähig. Komm sofort nach Hause. Und Sophie?, fragte ich. Birgit holt sie von der Schule ab, sagte Sonja, sie bringt sie später vorbei.
    Ich empfand fast eine Art Erleichterung, als ich nach Hause fuhr. Schon seit Jahren hatte ich immer wieder Vorahnungen gehabt, dass wir irgendwann scheitern würden. Ich hatte mich bedroht gefühlt, ohne dass es dafür einen wirklichen Grund gegeben hätte. Jetzt endlich löste sich die Spannung, etwas würde sich verändern, ob zum Guten oder zum Schlechten. Aber schon als ich aus dem Wagen stieg, war die Erleichterung verflogen, und ich fragte mich besorgt, wie wir aus dieser Geschichte wieder herauskommen würden.
     
    Am Esstisch saß Lechner, unser Steuerberater, vor einigen Papierstapeln. Sonja stand an der Fensterfront, die zum Garten hinausging. Als ich den Raum betrat, drehte sie sich zu mir um. Ihre Miene war sorgenvoll und zugleich angestrengt, als denke sie nach. Ich hatte Lust, mit ihr zu schlafen. Ich trat zu ihr und küsste sie auf den Mund und legte ihr den Arm um die Schultern, aber sie wand sich aus meiner Umarmung.
    Die Bank hat uns den Kredit gestrichen, sagte sie, ich hatte ja keine Ahnung. Ich sagte, ich hätte nicht gewollt, dass sie sich Sorgen mache. Wenn wir den Auftrag in Halle bekommen hätten, wären wir aus dem Schneider gewesen. Sonja fragte, wie lange wir es schon wüssten. Lechner stand auf, in der Hand den letzten Jahresabschluss. Es sei schon länger abzusehen gewesen. Die Liquidität sei der kleinste Teil des Problems. Wir hätten zu hohe Fixkosten, einen zu großen Personalbestand. Die Beiträge für die Sozialversicherungen wurden seit drei Monaten nicht abgeführt, sagte er. Sie müssen froh sein, wenn kein Strafverfahren gegen Sie eröffnet wird. Und das Büro?, fragte Sonja. Heißt das, wir müssen schließen? Wenn wir einen Antrag auf Insolvenz stellten, werde ein Verwalter eingesetzt, sagte Lechner, der werde das weitere Vorgehen festlegen. Ziemlich sicher würden die laufenden Projekte zu Ende geführt und dann das Personal entlassen und das Mobiliar verkauft. Eine Liquidation würde allerdings nicht viel einbringen, wir hätten ja nur ein paar Bürotische und Computer. Es sei möglich, dass der Insolvenzverwalter das Büro weiterführe. Das hieße dann drei Jahre Sklavenarbeit.
    Sonja ging zum Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Wahllos nahm sie ein paar Papiere in die Hand, schaute kurz darauf und warf sie wieder hin. Ich verstehe es nicht, sagte sie, ich kann nicht verstehen, dass mir niemand etwas gesagt hat.
    Lechner schwieg einen Moment. Dann sagte er, es gebe da noch ein Problem. Er machte eine Kunstpause. Wir hafteten mit unserem Privatvermögen. Sonja stöhnte. Wir hätten eine GmbH gründen sollen, sagte ich. Ich weiß, sagte sie, ich bin schuld. Es geht nicht um Schuld, sagte ich. Er werde alles tun, damit wir vorläufig im Haus bleiben könnten, sagte Lechner. Über kurz oder lang werde es zu einer Zwangsversteigerung kommen, aber das könne ein oder zwei Jahre dauern. So lange seien wir sicher. Da können wir uns ja gleich erschießen, sagte Sonja. Lechner tat, als habe er es nicht gehört. Das Beste wird sein, Sie schauen sich möglichst schnell nach einer Stelle um. Sehen Sie es als Chance. Als Chance wofür?, fragte Sonja.
     
    Nachdem Lechner gegangen war, schwiegen wir lange Zeit. Sonja saß auf dem Sofa und trank schon ihren zweiten Gin Tonic. Ich ging unruhig hin und her, blätterte durch die Papiere auf dem Tisch, ohne recht zu wissen, wonach ich suchte. Dann setzte ich mich neben Sonja aufs Sofa. Mit einem Ruck stand sie auf. Sie nahm das Telefon

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