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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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die Landschaft war dunkel. Wenn jemand draußen stünde, ich würde ihn nicht sehen, dachte ich, selbst wenn er nur wenige Meter entfernt wäre. Ich stellte mir vor, wie Iwona um unser Haus schlich und Fotos machte. Wir hatten keine Gardinen an den Fenstern, es wäre ein Leichtes, uns auszuspionieren.
    Sonja war nicht mehr nach unten gekommen. Als Birgit ging, wollte ich sie holen, aber Birgit sagte, lass sie, sie hat sich bestimmt hingelegt. Ich brachte sie zur Tür, und wir verabschiedeten uns. Wird schon wieder, sagte sie und winkte mir zu. Ich war erschöpft, aber ich wusste, dass ich nicht würde schlafen können. Bis in die frühen Morgenstunden saß ich im Wohnzimmer und dachte darüber nach, was schiefgegangen war und was ich falsch gemacht hatte und wie ich die Insolvenz hätte abwenden können. Ich dachte an die Auflösung des Büros, dass ich es den Angestellten sagen musste, dass die Kollegen es erfahren, dass die Gläubiger uns Vorwürfe machen würden. Ich hatte eine Flasche Wein aufgemacht, und je mehr ich trank, desto verworrener wurden meine Gedanken. Ich war enttäuscht von Sonja. Natürlich hatte sie recht, in München würde sie keine Arbeit finden, und ich musste hierbleiben, weil ich ein Schulhaus in Niederbayern in Bau hatte. Trotzdem kam mir ihre Flucht feige vor. Während ich alles ausbaden würde, würde sie weit weg sein am Mittelmeer und mit ihrem Albert eine Kaserne bauen und wer weiß was machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich das alles schaffen und mich noch dazu um Sophie kümmern sollte. Meine Gedanken drehten sich endlos im Kreis, die Augen fielen mir fast zu vor Müdigkeit, aber ich konnte mich nicht entschließen ins Bett zu gehen aus Angst vor dem kommenden Tag.
     
    Die nächsten Monate waren die schlimmsten meines Lebens. Ich stand sie nur durch, indem ich jeden Tag tat, was zu tun war, ohne an den nächsten zu denken. Sonja war zwei Wochen nach unserem Gespräch nach Marseille abgereist. Die Firma war unter vorläufige Verwaltung gestellt worden, und jeden zweiten Tag kam die Insolvenzverwalterin vorbei und wollte alles Mögliche wissen. Sie hatte gleich zu Anfang eine Versammlung der Angestellten einberufen und mir klargemacht, dass ich nichts mehr zu sagen hatte im Betrieb. Sie saß an meinem Schreibtisch und kramte in meinen Papieren und fing an, Leute zu entlassen und auch sonst die Kosten zu senken, wo sie nur konnte. Um jede Kleinigkeit musste ich sie bitten. Wenigstens wollte sie alles versuchen, um das Büro nicht schließen zu müssen. Trotzdem war die Stimmung miserabel. Immer standen ein paar der Angestellten bei der Kaffeemaschine herum und tuschelten und verstummten, wenn ich vorbeiging. Ich spürte ihre Blicke im Rücken und ihre Feindseligkeit, als sei es meine Schuld, dass die Baubranche am Boden war.
    Die Insolvenzverwalterin versuchte mich aufzuheitern. In Amerika sei eine Insolvenz nichts Ehrenrühriges, im Gegenteil, sie beweise, dass einer etwas gewagt habe. Wir sind nicht in Amerika, sagte ich. Sie sagte, ich müsse mich um Aufträge bemühen, irgendetwas was Geld einbringe, und wenn wir Tüten klebten. Ich rief Ferdi an. Ich hatte lange nichts von ihm gehört, und es war mir peinlich, ihn um Arbeit zu bitten, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Er sagte, es tue ihm leid, aber er könne mir nicht helfen, er sei froh, wenn er selbst über die Runden komme. Besucht uns doch mal, damit wir endlich euer Kleines kennenlernen. Ich fragte, wie es Alice gehe, und wir redeten noch ein wenig, aber es stellte sich keine Vertrautheit her, meine Bitte stand zwischen uns, ich fühlte mich wie ein Geächteter. Halt die Ohren steif, sagte Ferdi mit gespielter Munterkeit, als wir uns verabschiedeten.
    Die Insolvenzverwalterin hatte den Leasingvertrag für meinen Wagen gekündigt und einen Vertrag für einen kleineren abgeschlossen, einen weißen Opel Astra. Das war vielleicht das Schlimmste. Nicht dass ich mir viel aus Autos machte, aber jedes Mal, wenn ich den Astra neben ihrem Mercedes parkte, wurde mir mein Versagen bewusst.
    Sobald sie gegangen war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch, dabei kam ich mir vor wie ein Hochstapler. Ich hielt es nicht lange im Büro aus. Wann immer es möglich war, fuhr ich nach Vilsheim zu meiner Baustelle. Aber auch dort merkte ich, dass meine Anwesenheit nur störte und die Handwerker von der Arbeit abhielt. Oft ging ich schon um vier in eine Kneipe und saß die Zeit ab, bis ich Sophie von der Schule abholen konnte.

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