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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Schweigend fuhren wir nach Hause. Ich machte das Abendbrot und brachte sie ins Bett, dann beschäftigte ich mich mit Kleinigkeiten bis nach Mitternacht. Ich schlief fünf oder sechs Stunden, duschte, weckte Sophie, brachte sie zur Schule und ging ins Büro, wo die Insolvenzverwalterin schon auf mich wartete.
    Die Häme der Konkurrenz hielt sich in Grenzen. Manchen stand das Wasser selbst bis zum Hals und sie hüteten sich, voreilig zu urteilen. Die ganze Branche litt, alle klagten, viele Büros hatten schon vor uns Leute entlassen. Sonja hatte natürlich recht gehabt, in München hätte es für sie keine Arbeit gegeben. Sie wohnte in Marseille mit Antje zusammen und rief alle paar Tage an, aber die Anrufe dauerten nie lange. Sie wollte nichts hören von der Firma, und sonst hatten wir uns nicht viel zu sagen. Ich war jedes Mal froh, wenn Sophie mir den Hörer aus der Hand nahm, um ein paar Worte mit ihrer Mutter zu wechseln.
    Nach einem Monat besuchte uns Sonja für ein langes Wochenende. Es war Anfang August, und das Wetter war schön. Die Landschaft lag da in einer friedlichen, satten Stimmung. Das Grün der Bäume hatte schon die schwarze Schattierung des späten Sommers angenommen, und auch die Farbe des Sees hatte sich verdunkelt. Wir spazierten am Ufer entlang und sahen den Segelbooten zu und betrachteten die schönen alten Villen. In den Gärten spielten Kinder Badminton, und von irgendwoher kam der Geruch von gebratenem Fleisch. Wir lasen die Speisekarten der Seerestaurants. Sonja sagte, seit der Einführung des Euros sei alles doppelt so teuer, wir sollten lieber zu Hause etwas essen.
    Auf dem Weg zurück fing Sophie zu quengeln an. Sie hatte, seit Sonja angekommen war, kaum mit ihr gesprochen und hatte ihr beim Spazieren die Hand nicht geben wollen. Sie hatte von Anfang an ein engeres Verhältnis zu mir als zu Sonja gehabt, und die lange Trennung hatte die Sache nicht besser gemacht.
    Am nächsten Morgen war Sonja reizbar und wurde laut wegen jeder Kleinigkeit. Schon am Mittag tranken wir Wein, und am Nachmittag war Sonja müde und musste sich ausruhen und schnauzte Sophie an, weil sie nicht leise war. Sie machte mir Vorwürfe und war zynisch, wenn ich versuchte, mit ihr über die Zukunft zu sprechen. Obwohl sie braungebrannt war, wirkte sie erschöpft, und ihr Gesicht war härter geworden und hatte einen unschönen Zug bekommen. Wir stritten uns den ganzen Tag, und nachts im Bett fielen wir übereinander her und liebten uns leidenschaftlicher als sonst, aber der Sex hatte etwas Verzweifeltes, als versuchten wir, uns damit zu retten. Hör auf, sagte Sonja, du tust mir weh. Ich ließ mich fallen, und wir lagen nebeneinander, keuchend und verschwitzt. Sonja sagte, ich hätte mich verändert. Ich fragte nicht, wie sie das meinte. Zum ersten Mal, seit wir zusammen waren, schämte ich mich vor ihr.
    Ich dachte oft an Iwona in diesen Monaten. Wenn ich spätnachts auf die Terrasse trat, um zu rauchen, stellte ich mir vor, sie stünde in der Dunkelheit mit ihrem Fotoapparat und beobachte mich, wache über mich. Die Vorstellung erregte mich und machte mich zugleich wütend. Ich stellte mir vor, wie ich sie hereinholen und zur Rede stellen würde. Sie schwieg verstockt und versuchte, die Kamera hinter dem Rücken zu verbergen. Dann zog ich sie aus, und wir schliefen miteinander auf dem Sofa oder im Bett von Sonja und mir. Und dann, noch in der Dunkelheit, schickte ich sie weg, ohne dass sie auch nur ein Wort gesagt hätte.
    Einmal wählte ich Ewas Mobilnummer, aber bevor sie abnahm, legte ich wieder auf. Ich wollte nichts mehr hören über Iwonas Kindheit, über ihre Familie oder ihr Leben ohne mich. Das alles langweilte mich, wie Iwona mich gelangweilt hatte mit ihren Heiligenlegenden und den Fernsehfilmen, die sie mir manchmal nacherzählt hatte, als habe sie die Geschichten selbst erlebt. Wenn ich mir vorstellte, mit ihr zusammen zu sein, dann war es nicht die Sehnsucht, die man nach einem Freund oder nach einer Geliebten verspürt, es war ein fast schmerzhaftes Verlangen, etwas Unkontrollierbares und Brutales. Ich konnte in solchen Nächten nach München hineinfahren und eine Stunde lang im Wagen vor Iwonas Haus sitzen, in der irren Erwartung, sie spüre meine Anwesenheit und komme heraus zu mir. Natürlich kam sie nicht, und irgendwann fuhr ich ernüchtert zurück.
    Als ich von einem dieser Ausflüge zurückkam, war Sophie aufgewacht. Ich hörte sie laut weinen, sobald ich ins Haus trat. Sie konnte sich lange

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