Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
Vom Netzwerk:
Kontakt Davids und Karens mit ihrer Mutter während ihres kurzen Lebens im Mutterleib.
    Überflüssig zu erwähnen, daß das die Vielfalt menschlicher Erlebnisse in jeder Hinsicht immens erhöhte. Ich war im Kinderhort des Krankenhauses aufgewachsen, und so waren mir all die psychologischen Gefahren eines körperlich intimen Familienlebens erspart geblieben (ganz zu schweigen von den ästhetischen wie auch anderen Risiken gemeinsamer hygienischer Einrichtungen daheim). Ich war deswegen keineswegs isoliert, sondern von Gefährten umgeben. Auf dem Bildschirm war ich nie allein. Im Kinderzimmer spielte ich stundenlang die glückerfülltesten Spiele mit meinen Eltern, die mich aus der Behaglichkeit ihrer Häuser beobachteten und dem Schirm eine Unzahl von Videospielen, Zeichentrickstreifen, Filmen vom Leben in freier Wildbahn und Familienserien eingaben, die mir die Welt öffneten.
    Meine fünf Jahre als Medizinstudent gingen vorüber, ohne daß ich je einen Patienten leibhaftig hätte sehen müssen. Meine Kenntnisse in Anatomie und Physiologie erwarb ich mir am Bildschirm des Computerterminals. Hochentwickelte Diagnose- und chirurgische Techniken schalteten jede Notwendigkeit aus, direkt mit einer organischen Krankheit in Berührung zu kommen. Die Diagnosekamera mit ihren Infrarot- und Röntgenscannern und ihren computerisierten Diagnosehilfen zeigte weit mehr als jedes auf sich allein gestellte menschliche Auge.
    Vielleicht hatte ich ein besonderes Geschick im Umgang mit diesen komplizierten Tastaturen und Bedienungssystemen – ein Fingerspitzengefühl, das das moderne Gegenstück zum Operationsgeschick des klassischen Chirurgen war –, denn im Alter von dreißig Jahren hatte ich bereits eine florierende Praxis als praktischer Arzt. Meine Patienten, von der Notwendigkeit befreit, mein Sprech zimmer persönlich aufzusuchen, wählten lediglich meinen Bildschirm. Die Auswahl dieser ankommenden Gespräche – wie man taktvoll eine Hausfrau in den Wechseljahren ausblendet und auf ein Kind mit Dysenterie umschaltet, bei all dem aber nicht vergißt, den ängstlichen Eltern einzeln einen Wink zu geben – erforderte beträchtliches Geschick, vor allem, da die Patienten selbst auch diese Fertigkeit hatten. Die neurotischen Patienten hatten gewöhnlich weit größere Fähigkeiten und stellten sich mit zusammenhanglosen Schnitten, aggressiven Großaufnahmen und gesplitteten Bildschirmtechniken ein, die die schlimmsten Exzesse des experimentellen Films bei weitem übertrafen.
    Meine erste Begegnung mit Margaret erfolgte, als sie mich während einer arbeitsreichen Morgensprechstunde anrief. Wenn ich in den »Warteraum« blickte, wie es nostalgisch noch immer hieß – die visuelle Anzeige, auf die kurze filmische Biographien der Patienten eines jeden Tages projiziert wurden –, verschob ich üblicherweise jeden Patienten, der mich ohne vorhergehende Anmeldung anrief, auf den nächsten Tag. Diese junge Frau fiel mir jedoch sofort auf, zunächst wegen ihres Alters – sie schien in den späten Zwanzigern zu sein – und dann durch ihre bemerkenswerte Blässe. Unter kurzgeschnittenem blonden Haar lagen die verschatteten Augen und der schmale Mund in einem Gesicht, das beinahe aschfarben war. Ich erkannte, daß sie im Gegensatz zu mir und allen anderen nicht für die Kamera geschminkt war. Das erklärte sowohl ihre arktische Hauttönung wie auch ihr nichtjugendliches Aussehen – auf dem Bildschirm war jeder dank des Make-ups, ganz gleich welchen Alters, zweiundzwanzig, die grausamen Unterscheidungen der Zeit waren endgültig verbannt.
    Es muß dieses Fehlen jeglichen Make-ups gewesen sein, das mir zuerst die Idee eingab, Margaret tatsächlich in Person zu treffen, ein Einfall, der zehn Jahre später mit solch vernichtenden Konsequenzen aufblühte. Von ihrem nicht einzuordnenden Aussehen gefesselt, verabschiedete ich meine anderen Patienten und begann unser Gespräch. Sie sagte mir, sie sei Masseuse, und kam nach einer höflichen Einleitung zur Sache. Seit einigen Monaten befürchte sie, daß ein kleiner Knoten in ihrer linken Brust Krebs sein könnte.
    Ich gab ihr eine beruhigende Antwort und sagte ihr, daß ich sie untersuchen würde. In diesem Augenblick beugte sie sich ohne Vorwarnung nach vorn, knöpfte die Bluse auf und zeigte ihre Brust.
    Überrascht starrte ich auf dieses riesige Organ, über sechzig Zentimeter im Durchmesser, das meinen Fernsehschirm ausfüllte. Ein geradezu viktorianisch zu nennender visueller

Weitere Kostenlose Bücher