Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
dienen, seit ich ein kleines Kind war. Es war mein Traum, den Menschen das Wort Gottes zu verkünden, sie von ihren Sünden zu befreien … gut zu ihnen zu sein. Doch nachdem« – er zögerte abermals –, »nachdem das mit deiner Mutter geschehen war, wollte die Kirche mich nicht mehr. Zumindest nicht so, wie ich es mir erträumt hatte. Man stellte mir frei, ihr auf andere Weise zu dienen. Nicht die Predigt sollte meine Aufgabe sein, sondern das Gericht und die Bestrafung. Keine Verzeihung sollte ich gewähren, sondern nur Tod und Verdammnis bringen, all jenen, die sich gegen Gottes Vertreter auf Erden wandten.« Sein Tonfall klang jetzt, als ekele er sich vor sich selbst. »Ich wurde zu Goten dem Grausamen. Der Schrecken aller Ungläubigen und Frevler.«
»Du hättest Nein sagen können«, wandte Dea leise ein.
Er schaute abrupt zu ihr herüber, mit Blicken so stechend wie Messerklingen. »Ich wurde geboren, dem Guten zu dienen. Das ist meine Berufung, meine Bestimmung. Und genau das tue ich, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Ich diene der Macht des Himmels. Auf meine Weise.«
Dea verstand nicht wirklich, wie er all das meinte. Macht des Himmels? Nach wie vor begriff sie nicht, was ihn so eng an die Kirche kettete. Allerdings hielt sie es für klüger, im Augenblick nicht weiterzubohren. Sie wollte nicht, dass er wütend wurde.
Außerdem waren da andere Dinge, die sie beschäftigten.
Goten war ihr Vater! Das allein reichte, um sie völlig aus der Fassung zu bringen. Alle Gedanken, alle Eindrücke wurden in ihr wild durcheinander gewirbelt.
»Hat deine Amme gut für dich gesorgt?«, fragte Goten nach einer Weile.
Dea überlegte einen Moment. »Mutter war … ich meine, sie war immer da. Ja, ich glaube, sie hat gut für mich gesorgt. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass sie mich lieb hat.« Sie zögerte. »Ist es grausam, so was zu sagen?«
»Was weißt du in deinem Alter schon über Liebe?«
»Und du?«, erwiderte sie scharf. »Deine Liebe ist seit vielen Jahren tot. Kannst du dich überhaupt noch erinnern, wie das war, jemanden gern zu haben?«
Gotens Gesicht erstarrte zu einer Maske, und Dea erkannte, dass sie zu weit gegangen war. Aber sie war zu stolz, ihn um Verzeihung zu bitten. Was bildete er sich auch ein, sie wie ein dummes kleines Kind zu behandeln?
Doch als der Hexenjäger wieder sprach, war es keine Beschimpfung oder Drohung. Seine Stimme klang ruhiger als zuvor, fast ein wenig traurig.
»Deine Amme hat dich mir zurückgegeben. Das Schicksal hat es so gewollt. Ich wusste immer, dass es eines Tages so kommen würde.«
Bist du denn froh darüber?, wollte sie fragen, verkniff sich die Worte dann aber lieber.
»Ich möchte, dass du bei mir bleibst«, fuhr Goten fort. »So lange du magst. Ich zwinge dich nicht dazu. Es ist deine Entscheidung.«
Sie dachte zurück an Giebelstein, an die anderen, die sie stets gemieden hatten. Sie dachte auch an ihre Mutter … ihre Amme. Ob sie Dea vermisste? Ob ihr schon Leid tat, was geschehen war? Ja, dachte Dea betrübt, sie wird traurig sein. Aber wahrscheinlich war sie der Meinung, dass sich so für Dea alles zum Besten wenden würde. Als Tochter eines mächtigen Mannes. Als Tochter eines gefürchteten Mannes.
Dea selbst fürchtete sich nicht mehr vor Goten, obgleich er ihr nach wie vor unheimlich war. Etwas verbarg er vor ihr, da war sie ganz sicher.
Goten schaute sie von der Seite an, musterte ihre Züge. »Du siehst nicht aus wie deine Mutter.«
»Nein, wie mein Vater«, erwiderte sie kühl. »Ich hab’s gleich gemerkt, als ich dein Gesicht gesehen hab.«
»Willst du bei mir bleiben? Als meine Schülerin?«
»Was kann ich bei dir lernen? Wie man Menschen verbrennt?«
»Du hast ein scharfes Mundwerk.«
»Darum kann mich auch keiner leiden.«
»Ich mag es, wenn jemand sagt, was er denkt.«
»So? Warum sprichst du dann Gericht über all jene, die offen auf die Kirche schimpfen?«
Selbst unter der weiten Kutte konnte sie sehen, dass Goten zusammenzuckte. Hatte sie einen wunden Punkt getroffen? Noch einen?
»Ich richte niemanden, der seine Ansichten frei vertritt«, sagte er schließlich.
»Da habe ich anderes gehört«, entgegnete Dea freiheraus. »Die Kirchengerichte verurteilen wahllos, wer von anderen beschuldigt wird. Und dabei geht es gar nicht um echte Gerechtigkeit. Unschuldig ist der, der die Gottesprobe besteht und heil durch ein loderndes Feuer gehen kann. Wenn du mich fragst, ist gerade das Hexerei!«
»Viele Gerichte richten nach
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