Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
Pfeil zwei Schritte neben ihm im Boden stecken blieb.
Ottwald blieb keine Zeit für eine erneute Attacke. Ein Donnern und Brüllen ertönte aus dem Inneren der Kirche, als das Feuer auch dort zu wüten begann. Das Dach brannte bereits an mehreren Stellen, und jetzt loderten die Flammen auch rund um den fetten Händler empor. Ihr Gleißen und Glosen verbarg gnädig das weitere Schicksal des Wahnsinnigen. Ottwald von Rehn verbrannte mitsamt der Kirche, die er so begierig für sich beansprucht hatte.
Goten wandte sich ungerührt ab, hob die Sanduhr vom Boden und ging ruhigen Schritts auf seinen Pferdekarren zu. Das mächtige Ross stand vollkommen still, trotz des nahen Feuers. Es kannte seinen Herrn, und es kannte seine Art, mit Verbrechern wie Ottwald fertig zu werden. Dea fragte sich, ob Goten wohl schon andere auf diese Weise zur Strecke gebracht hatte.
Sicher, die Grausamkeit des Hexenjägers stieß sie ab, ja, sie verachtete ihn für die Leichtfertigkeit, mit der er Hartwigs Lebenswerk zerstört hatte. Doch hatte der Priester ihn nicht selbst herbeigerufen? Plötzlich sah sie in Goten so etwas wie einen unheilvollen Geist, den man in der Not heraufbeschwor, nicht ahnend, dass man damit alles nur noch schlimmer machte.
Der alte Priester schleppte sich auf Goten zu und schrie furchtbare Verwünschungen, wünschte ihm die Pest an den Hals, jammerte und wehklagte. Sonst aber wagte keiner, sich dem gnadenlosen Hexenjäger entgegenzustellen.
Niemand außer Dea.
Sie wartete ab, bis der unheimliche Mann auf dem Kutschbock seines Karrens Platz genommen hatte, dann löste sie sich aus der Menge, huschte auf den Wagen zu und sprang blitzschnell auf die Bank neben Goten. Ihr Bündel polterte, als es auf dem Holz zu Gotens Füßen aufschlug.
Jene, die Dea beobachtet hatten, wurden vor Schreck mucksmäuschenstill. Sie waren überzeugt, dass Goten das Mädchen teuflisch bestrafen würde.
Doch Goten blieb ruhig. Ja, er würdigte Dea nicht eines Blickes. Ohne ein Wort trieb er sein Ross an, tat einfach, als sei er immer noch ganz allein auf dem Kutschbock.
Während die Kirche zu einem lodernden Inferno wurde und die verängstigten Menschen immer weiter von der Gluthölle abrückten, lenkte Goten den Karren die Dorfstraße entlang. Er hielt nicht am Gasthof an, wie alle befürchtet hatten, sondern fuhr schnurstracks an den äußeren Hütten vorbei. Einige, die den ersten Schrecken bereits überwunden hatten, atmeten voller Erleichterung auf. Wenigstens würde der Hexenjäger hier im Dorf kein weiteres Unheil stiften.
Auch Dea war erstaunt, als das Gespann am Gasthaus vorüberrumpelte. Ihr wurde ganz übel, als ihr klar wurde, dass Goten Giebelstein verlassen würde, und es kostete sie einige Mühe, den Riesenkloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Sie war jetzt ganz allein mit ihm.
Am allermeisten aber verunsicherte sie, dass ihr Auftauchen Goten so gleichgültig ließ. Sie hatte gehofft, ihn überrumpeln zu können, ihm dadurch irgendeine Nachricht, einen Satz über ihr Schicksal entreißen zu können. Antworten, hatte ihre Mutter gesagt.
Doch der Hexenjäger beachtete sie gar nicht. Er tat, als sei es nicht weiter ungewöhnlich, dass sie neben ihm auf dem Kutschbock saß. Es war fast, als hätte er sie erwartet.
»Ich … mein Name ist Dea«, brachte sie hervor und hasste sich selbst für ihr Stammeln.
»Soso«, kam es dumpf aus dem Schatten der Kapuze. Noch immer hatte sie keinen Blick auf sein Gesicht werfen können.
Vielleicht ist er verunstaltet, durchfuhr es sie. Vielleicht darf deshalb niemand wissen, wie er aussieht.
Doch sie hatte diese Gedanken kaum zu Ende gebracht, als Goten sich plötzlich zu ihr umdrehte.
Das graue Zwielicht des Winternachmittags erhellte vage das Gesicht unter der Kapuze.
Das Erste, was Dea dachte, war etwas völlig Verrücktes:
Er sieht ja aus wie ich!
Nun, natürlich tat er das nicht wirklich. Goten war ein erwachsener Mann, weit über dreißig Jahre alt, und an seinem Kinn und seinen Wangen sprossen Bartstoppeln. Er hatte eine lange Narbe, die quer über seine Stirn, durch die linke Augenbraue und bis hinab zur Wange führte – ein Wunder, dass die Verletzung ihm nicht das Auge geraubt hatte.
Und doch war da etwas an ihm, das Dea nur zu gut kannte – von ihrem eigenen Spiegelbild auf der Oberfläche des Waldweihers. Goten hatte die gleichen vollen, dunklen Augenbrauen wie sie, und das, obwohl sein Haar blond war. Ihr eigenes hatte einen Stich ins Rötliche, und je älter
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