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Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters

Titel: Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Nachthimmel empor, andere kauerten zusammeng e sunken auf den Gräbern und sahen aus, als weinten sie. Zahllose Kreuze, manche so groß wie ein ausgewachsener Mann, erinnerten an die Verstorbenen. Es gab viele schlichte Schrifttafeln, aber auch Grüfte mit Säulen und schmiedeeisernen Toren. In manchen Eingängen knisterte es geheimnisvoll, wenn eine Ratte durch die nächtlichen Friedhofsbesucher aus dem Schlaf gerissen wurde.
    Noch immer blieben die Spitzbogenfenster der Kirche finster. Was immer die drei Frauen dort drinnen auch anstellten, sie taten es im Dunkeln. Das machte die Aussicht, ihnen zu begegnen, nicht gerade erfreulicher. Auch vor den Fischen – und Kyra war überzeugt, dass jede der drei Frauen einen besaß – würden sie sich in der Finsternis noch stärker in Acht nehmen müssen.
    Unter einem der Fenster blieben sie stehen. Kyra lauschte.
    Täuschte sie sich, oder drang aus dem Inneren ein leises Summen ins Freie? Nun, das mochte auch vom Wind stammen, der in den Mauerfugen jammerte. Trotzdem konnte sie sich nicht ganz von der Vorstellung lösen, dass das Summen mit den Frauen zu tun hatte. Nils und Lisa schienen ähnliche Gedanken zu haben. Sogar im Dunkeln konnte Kyra deutlich die Besorgnis auf ihren Gesichtern erkennen.
    Zu Kyras und Lisas Überraschung war Nils der Erste, der flüsternd ein Geständnis machte:
    »Vielleicht war es doch keine gute Idee, hierher zu kommen. Wir haben ja nicht mal was, womit wir uns verteidigen können.«
    Kyra verzog den Mund. »Wolltest du deinem Vater die Schrotflinte klauen?«
    »Quatsch! Aber zu Hause hab ich eine Steinschleuder. Und ein Taschenmesser.«
    »Und was willst du damit anfangen, wenn die Frauen uns erwischen?«, fragte Kyra. »Sie erschießen? Wow, Nils Schwarzenegger!«
    »Sehr witzig«, gab er beleidigt zurück.
    Kyra ging nicht darauf ein. »Aber möglicherweise hast du Recht. Vielleicht sollten wir nach Hause gehen. Ich kann versuchen, Tante Kassandra auszuhorchen. Sie weiß irgendwas über diese Frauen. Bevor wir weitere Schritte gegen sie unternehmen, wär’s vielleicht gut, wenn wir mehr über sie erführen.«
    »Was denn für weitere Schritte?«, fragte Lisa alarmiert.
    Kyra zuckte die Achseln. »Mal sehen.«
    »Heißt das, dass wir jetzt abhauen?«, wollte Nils wissen und klang teils erleichtert, teils enttäuscht.
    »Nicht abhauen«, verbesserte Kyra kopfschüttelnd. »Nur ein strategischer Rückzug. Um Pläne zu schmieden, sozusagen.«
    Es auf diese Weise auszudrücken besänftigte Nils. In der Schule hatte er gelernt, dass sogar Napoleon manchmal zurückgewichen war, um dann einen Tag später um so vernichtender zuzuschlagen.
    »Hört ihr das?«, fragte Kyra plötzlich.
    Die Geschwister hielten den Atem an. Stille.
    Sogar die Windstöße schienen sekundenlang auszuse t zen.
    »Was meinst du?«, flüsterte Lisa tonlos.
    Kyra hob nur die Hand, das Zeichen für die anderen zu schweigen.
    Nils wartete noch einen Augenblick länger, dann schüttelte er den Kopf. »Ich höre gar nix.«
    »Eben«, wisperte Kyra.
    Lisa begriff. »Das Summen. Es hat aufgehört.«
    Tatsächlich herrschte im Inneren von Sankt Abakus jetzt völlige Ruhe.
    »Sind die Frauen fort?«, fragte Nils.
    »Dann hätten wir das Tor hören müssen«, erwiderte Kyra.
    »Ich glaube, ich will jetzt hier weg«, sagte Lisa kleinlaut.
    Kyra nickte. »Ist wohl das Beste.«
    Geschwind liefen sie zurück zur Mauer, kletterten darüber hinweg und stürmten den Hang hinunter. Allen dreien kam es vor, als würden sie von etwas verfolgt, von einem Wesen, das eiskalt in ihren Nacken atmete. Doch immer, wenn einer über die Schulter nach hinten blickte, war da nichts und niemand.
    Nur das Gras, das im Nachtwind Wellen schlug.
    Nur zitterndes, knackendes Geäst.
    Nur das grinsende, fahle Gesicht des Mondes.
      
      
      
    Tante Kassandra erzählt
    Kyras Zimmer lag unter dem Dach des Hauses. Im Sommer war es dort immer sehr warm, an manchen Tagen unerträglich heiß; im Winter dagegen schlief sie nachts unter zwei Decken, so kalt war es oft. Tante Kassandra hatte ihr zahllose Male angeboten, eines der Zimmer in der ersten Etage für sie freizuräumen, aber Kyra blieb lieber auf dem Dachboden. Hier hatte sie ein ganzes Stockwerk für sich allein.
    Das Gebäude war sehr schmal, ein altes Fachwerkhaus mit weiß getünchten Fassaden und dunkelbraunen Balken. Die Front war nur wenige Meter breit. Dafür besaß das Haus drei Etagen, wenn man Kyras Speicher mitzählte. Überall knarrten und

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