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Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Titel: Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ab. Gemeinsam machten sie sich daran, das Regal nach vorne zu rücken. Zum Glück war es nur halb gefüllt, sodass sie keine Flaschen herausräumen mussten. Schon bald hatten sie einen Spalt zwischen Wand und Regal geschaffen, der groß genug war, um sich hindurchzuzwängen.
    Mit dem Leuchter beschien Kyra das feuchte Mauerwerk hinter dem Regal. In eine Vertiefung in der Wand war tatsächlich eine Tür eingelassen, halbrund und sehr niedrig. Ein Balken war quer darüber gelegt worden. Man musste ihn nur aus seinen Verankerungen heben.
    Leichter gesagt als getan. Der Balken war verflucht schwer, und Kyra und Nils schimpften einmütig vor sich hin, während sie das sperrige Ding anhoben und schließlich zu Boden poltern ließen. Zu spät fiel ihnen ein, dass sie damit alles, was hinter dieser Tür noch am Leben sein mochte, gewarnt haben mussten.
    Unsinn!, schalt sich Kyra. Was sollte hier schon noch leben? Seit 1784 war diese Tür nicht mehr geöffnet worden.
    Etwas krabbelte über ihren Unterarm. Erst glaubte sie, das Kitzeln ginge von den Siegeln aus – doch als sie hinsah, erkannte sie, dass eine fette Kreuzspinne über ihre Haut lief, geradewegs auf ihre Schulter und ihr langes Haar zu. Kyra quietschte auf und schleuderte die Spinne fort in die Dunkelheit.
    Nils hatte zugeschaut und kicherte nervös. »Ich hab dich gewarnt.«
    Kyra atmete tief durch, immer noch starr vor Ekel. »Komm, lass uns weitergehen.«
    Trotz rostiger Scharniere ließ sich die Tür ohne große Mühe öffnen. Knirschend schwang sie nach innen. Ein Erwachsener hätte sich bücken müssen, um unter dem Steinbogen hindurchzutreten, aber für Kyra und Nils hatte er gerade die richtige Höhe.
    Vor ihnen öffnete sich ein Gang mit kahlen Wänden. Die Finsternis war so undurchdringlich, als wäre der ganze Stollen mit Spinnweben aus schwarzem Garn verwoben.
    »Ganz schön einladend, was?«, murmelte Nils unglücklich.
    Kyra nickte. »Und über so was hast du nun zwölf Jahre lang gewohnt.«
    Nils grinste humorlos. »Ich wäre schon dankbar, wenn es noch mal zwölf werden würden.«
    Ihre Blicke trafen sich, dann winkte Kyra sachte mit dem Leuchter. Das Zeichen zum Aufbruch.
    Mit bebenden Knien schoben sie sich vorwärts.
    Kyras Gedanken bewegten sich im Kreis. Keine Menschen hier unten, seit über zweihundert Jahren. Was war es nur, das ihr an dieser Vorstellung solche Angst einjagte?
    Kein Mensch.
    Aber vielleicht etwas anderes?
    Plötzlich überkam sie die Gewissheit, dass es einen guten Grund gegeben haben musste, die geheime Tür von außen zu verriegeln. Vielleicht hatte der Großvater von Lisa und Nils nicht alles über diese Keller gewusst. Und möglicherweise war es mehr als nur Aberglaube gewesen, der die Männer von einst dazu bewogen hatte, den Durchgang zu verschließen.
    Gut möglich, dass Kyra und Nils einen schweren Fehler begangen hatten.
    Und trotzdem war es das Einzige, das die beiden anderen jetzt noch retten konnte.
    Sie mussten weiter. Tiefer in die Finsternis.
    Vor ihnen ertönte ein Geräusch. Etwas Hartes, Scharfes schabte über Stein.
    Etwas atmete.

Schock
    Lisa begriff mit einem Mal, dass Chris ihre Hand hielt. Ein paar Herzschläge lang verlor alles andere an Bedeutung: Die kreischende Bestie in ihrem Rücken, die ausweglose Flucht, die Todesangst … all das wurde zweitrangig.
    Chris hielt ihre Hand. Das war alles, was in diesem Augenblick zählte.
    Und dann ließ er sie los, und die rosaroten Wölkchen, die sich um Lisas Gemüt gelegt hatten, faserten auseinander, offenbarten die rabenschwarze Nacht dahinter, die Furcht, die Erschöpfung.
    Sie waren noch immer auf der Flucht. Und es sah schlimmer für sie aus als jemals zuvor.
    Der schwarze Storch war hinter ihnen. Keine zwanzig Meter mehr.
    Erst hatten sie versucht, erneut die Küche zu erreichen. Doch das war ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Der Dämon hatte ihnen in der Eingangshalle den Weg abgeschnitten. Sie hatten nach links ausweichen müssen, fort vom Küchentrakt, durch den verlassenen Speisesaal und durch einen der Konferenzräume.
    Jetzt stürmten sie keuchend eine schmale Treppe hinauf, die in die oberen Stockwerke führte. Der Versuch, den Dämon abzuschütteln, war misslungen. Nur die Enge des Treppenschachts hielt die Kreatur davon ab, noch schneller aufzuholen.
    Chris hatte Lisas Hand losgelassen, um die Tür am oberen Treppenabsatz zu öffnen. Nachdem sie hindurch waren, warf er sie hinter sich zu. Aber der Dämon hatte dazugelernt; diese Tür

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