Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch
sandte in diesem Moment ein Stoßgebet zum Himmel. Hoffentlich passierte den beiden nichts.
»Wir müssen uns beeilen«, flüsterte sie Nils zu.
»Das weiß ich. Aber es ist stockdunkel hier unten.«
Das war es in der Tat. Die oberen Stufen der Kellertreppe wurden noch vom Licht aus dem Erdgeschoss erhellt. Doch jetzt, nachdem die Wendeltreppe ihre erste Biegung gemacht hatte, wurde es mit jedem Schritt finsterer. Sie hatten keine Taschenlampe, nur einen dreiarmigen Kerzenleuchter, den sie unterwegs von einer Kommode mitgenommen hatten. Ein halb volles Päckchen Streichhölzer hatte in einer Schublade darunter gelegen.
Doch der flackernde Kerzenschein hatte der Finsternis, die von allen Seiten auf sie eindrängte, wenig entgegenzusetzen. Kyra und Nils konnten höchstens zwei, drei Meter weit sehen, dann wurde jeder Lichthauch, jeder Umriss von der Schwärze verschluckt.
Die Wendeltreppe schraubte sich immer tiefer. Dies war kein gewöhnlicher Keller – er lag viel zu weit unten im Berg.
Kyra hatte selbst schon mit Nils und Lisa hier unten gespielt, obgleich das letzte Mal mindestens drei Jahre zurücklag. Nils’ Vater konnte es nicht leiden, wenn sich die Kinder hier unten herumtrieben – er sagte, das sei zu gefährlich. Wusste er von der geheimen Tür? Wahrscheinlich, immerhin war auch er in diesem Haus aufgewachsen. Aber ahnte er auch, wohin sie führte?
Sie erreichten den unteren Treppenabsatz. Endlich wieder ebener Boden. Der Kerzenschein schälte hohe Deckengewölbe aus der Dunkelheit. Der unterirdische Raum war gewaltig. In mehreren Reihen standen Weinregale, gefüllt mit staubbedeckten Flaschen. Es roch nach Korken und verfaultem Obst.
»Hier unten darf man sich nicht vor Spinnen ekeln«, bemerkte Nils beiläufig.
Kyra schüttelte sich. »Was, bitte, soll das denn heißen?«
»Dass es hier unten von Spinnen nur so wimmelt«, gab er zurück. »Fette Kreuzspinnen. Weberknechte. Alles, was das Herz begehrt.«
»Großartig.« Kyra fühlte sich gleich noch schlechter. Sie hatte keine wirkliche Angst vor Spinnen, war aber auch nicht scharf darauf, welchen zu begegnen.
Nils tastete nach einem altmodischen Drehschalter. Der Mechanismus klickte vernehmlich, aber die nackten Glühbirnen unter der Decke blieben dunkel. »Mist!«, fluchte er. »Hätte ich mir denken können. Es muss so vieles im Kerkerhof repariert werden, dass der Keller auf jeden Fall zuletzt drankommt.«
Kyra stöhnte. »Dann müssen halt die Kerzen reichen.«
»Die Tür liegt in dieser Richtung«, sagte Nils und wies mit ausgestrecktem Arm in die Finsternis.
Sie rannten los, an einer langen Regalreihe vorbei. Schon bald stellten sie fest, dass die Kerzenflammen ausgehen würden, wenn sie zu schnell liefen. Es war aber auch verteufelt: Oben wurden Lisa und Chris von dem Dämon gejagt und waren darauf angewiesen, dass Kyra und Nils zügig ihr Ziel erreichten – und sie scheiterten hier unten schon an so etwas Einfachem wie der Beleuchtung!
Notgedrungen verlangsamten sie ihre Geschwindigkeit. Die Flammen züngelten wieder ein wenig höher, der Lichtkreis weitete sich aus.
»Wie weit ist es noch?«, fragte Kyra voller Ungeduld.
»Zehn, fünfzehn Meter.«
Das war natürlich nur die Entfernung bis zur Tür. Wie lange sie dann noch brauchen würden, um die Hexenküche des Barons zu erreichen, blieb ungewiss.
Eine Ratte huschte im Dämmerlicht über den Steinboden.
»Kein Wunder, dass ihr kaum Gäste habt«, sagte Kyra, hauptsächlich, um die bedrückende Stille des Weinkellers nicht zu beängstigend werden zu lassen.
»Das hat nichts mit Ratten zu tun«, entgegnete Nils ernsthaft.
Kyra wurde klar, dass sie ihn gekränkt hatte. »Tut mir Leid«, sagte sie.
Nils zuckte im Dunkeln mit den Schultern. »Meine Eltern haben schon daran gedacht, das Hotel zu verkaufen und fortzuziehen.«
» Was? « , entfuhr es Kyra. »Davon habt ihr nie was gesagt.«
»Sie haben erst kurz vor der Abfahrt darüber gesprochen. Wenn es mit der Erbschaft nichts wird, haben sie gesagt, würden sie den Kerkerhof über kurz oder lang dichtmachen müssen.«
»Aber ihr könnt doch nicht einfach von hier wegziehen!« Der Gedanke, sie könnte ihre beiden Freunde verlieren, war schmerzlich – selbst angesichts der Bedrohung durch den Dämon.
Nils gab keine Antwort. Einige Schritte lang wurde das Schweigen wieder unerträglich, dann sagte er plötzlich: »Da vorne ist es! Hinter diesem Regal dort, links von dir.«
Kyra stellt den Kerzenleuchter auf dem Boden
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