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Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Titel: Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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– verräterisches Anzeichen dafür, dass der Mann im Mond sich Richtung Straße bewegte.
    Sie mussten weg von hier. Sofort.
    Die vier stürmten durchs Stadttor, dann auf der verlassenen Hauptstraße bis zur Mündung des nächsten Feldwegs. Dort bogen sie ab und liefen im Schutze hoher Weißdornhecken Richtung Bahndamm und Hügelgrab.
    »Nicht … zum Grab«, keuchte Nils atemlos. »Die Hexe wird wissen … dass wir dorthin gehen.«
    Kyra gab ihm Recht. »Wenn sie es weiß, dann weiß es auch der Mann im Mond.«
    »Also, wohin?«, fragte Lisa.
    »Wir umrunden die Stadt«, schlug Chris vor und rang nach Atem. »Im Osten kann man die Hügel besser überblicken, für den Fall, dass er uns weiterverfolgt.«
    Ihre Schnelligkeit schien der einzige Vorteil zu sein, den sie gegenüber dem Mann im Mond hatten. Solange sie nicht in die Reichweite seiner Dornenranken kamen, konnten sie ihm immer wieder davonlaufen – vorausgesetzt, sie manövrierten sich nicht selbst in eine Sackgasse.
    Chris’ Vorschlag war durchaus sinnvoll. In einer weithin offenen Landschaft war die Chance, nicht von ihm erwischt zu werden, am größten.
    Sie verließen den Feldweg, kletterten über ein hölzernes Gatter und rannten über eine Wiese. Die meisten Flächen rund um Giebelstein wurden als Weideflächen für das Vieh der Bauern genutzt, Äcker gab es nur wenige. Bei Sonnenschein erstrahlten die Hügel in saftigem Grün und verbreiteten einen berauschenden Duft nach frischem Gras. Nachts aber entzog der Mond den Halmen alle Farbe, das Hügelland sah aus wie die Kulisse eines Schwarzweißfilms.
    Sie mussten über mehrere Zäune steigen, sich durch dichte Hecken zwängen und Feldwege überqueren. Kyra blickte mehrfach nach hinten, aber vom Mann im Mond war nichts zu sehen. Entweder er hatte ihre Spur verloren, oder er versuchte, ihnen den Weg abzuschneiden. Aber das war unmöglich – er wusste ja nicht, wohin sie liefen. Oder etwa doch? Sie durften nicht vergessen, dass eine Hexe des Arkanums dieses Wesen heraufbeschworen hatte. Und Hexen verfügten über Mittel und Wege, ein Stück weit in die Zukunft zu blicken – und an andere Orte.
    Nein, sie mochten noch so schnell laufen – sicher waren sie erst, wenn die Hexe und ihr Geschöpf besiegt waren.
    Leicht gesagt. Das Buch unter Kyras Arm schien mit einem Mal doppelt so schwer zu werden. Wenn sie darin keine Möglichkeit fanden, den Mann im Mond zu vernichten oder zumindest in die Flucht zu schlagen – nun, dann sah es wieder einmal alles andere als rosig für sie aus.
    Sie erreichten eine Hügelkuppe, etwa fünfhundert Meter von der westlichen Stadtmauer Giebelsteins entfernt. Das Gras reichte ihnen hier fast bis über die Hüften, und bei jedem Schritt stoben Pollenwolken empor.
    Die Sicht von hier bis zur Stadt war leidlich gut, solange sich keine Wolken vor den Vollmond schoben. Ihr Verfolger war nirgends zu sehen.
    Die Freunde ließen sich zwischen den hohen Halmen nieder, und Chris begann, in dem Buch zu blättern. Er fand das Kapitel über den Mann im Mond auf Anhieb. Es umfasste nur knapp zwanzig Seiten, und es dauerte nicht lange, da hatte er den englischen Text durchgelesen.
    »Und?«, fragte Lisa ungeduldig. »Was steht drin?«
    »Dass der Mann im Mond eine Legende ist«, erwiderte Chris. Seine Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen.
    »Eine Legende? Soso …« Nils schnaubte verächtlich.
    »Warte!« Kyra brachte Nils mit einem Wink zum Schweigen. Sie war nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Erzähl uns alles. Was sagen die Legenden, wer der Mann im Mond ist? Wo kommt er her?«
    Chris blätterte in den vergilbten Seiten. Während er sprach, suchte er nach den entsprechenden Textstellen. »Es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Geschichten. Alle stimmen darin überein, dass er einst ein gewöhnlicher Mann war, der aufgrund eines Verbrechens auf den Mond verbannt wurde.«
    »Von wem?«, fragte Lisa. »Von Gott?«
    Chris’ Blick huschte über die Seiten. »Auch darüber gibt es hier ganz verschiedene Angaben. Einmal, zum Beispiel, heißt es, Moses habe den Mann verflucht, weil er ihn dabei ertappte, wie er am Sabbat Reisig sammelte – nach dem jüdischen Glauben darf am Sabbat keine Arbeit verrichtet werden, nicht einmal eine so einfache wie Holz sammeln.«
    Nils rümpfte die Nase. »Da hat der olle Moses aber ganz schön überreagiert, was?«
    »Die hier ist auch nicht schlecht«, sagte Chris und legte den Zeigefinger auf einen Absatz im Buch. »Demnach ging an einem

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