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Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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herausgefunden«, sagte der alte Mann, als er hinter seinen Schreibtisch trat. Fahrig wühlte er in dem Chaos aus aufgeschlagenen Folianten und losen Dokumenten.
    Lisa sah sich betreten um. Aus den finsteren Archivgängen in ihrem Rücken wehte ein kühler Luftzug. Auch Chris spürte ihn – es erinnerte ihn an die Windstöße, die aus U-Bahn-Tunneln dringen, kurz bevor ein Zug in die Station einfährt; Luft, die von etwas Großem, Massigem verdrängt wird. Genau so fühlte es sich an: Als käme durch die dunklen Gänge etwas Gewaltiges auf sie zu, etwas, das kalte Luft vor sich herschob wie eine Bugwelle.
    Aber da war nichts in den Gängen. Nur Schwärze. Nur völlige Finsternis.
    Lisa dachte, dass sie verrückt werden würde, wenn sie jeden Tag hier herunterkommen müsste. Ganz allein in diesen Gewölben, fast ohne Licht. Und überall nur Bücher, Bücher, Bücher.
    Herr Fleck hatte gefunden, was er suchte: Unter dem Papierhaufen auf dem Schreibtisch zog er ein Paar schwarze Samthandschuhe hervor. Er streifte sie über seine knochigen Finger und hob dann vorsichtig etwas vom Boden auf.
    Es war eine Papierrolle, so lang wie der Arm eines Erwachsenen.
    »Wenn ich sie ohne Handschuhe anfassen würde, könnte es passieren, dass sie zerfällt«, erklärte der Archivar und blickte in die Runde. Er stand leicht vornübergebeugt, die einzige Lichtquelle war die Lampe über seinem Kopf. Sein Gesicht war hinter einer Maske aus Schatten verborgen. Nur seine Augen schimmerten hell im Dunkel. Lisa fand, dass seine Augäpfel ebenso vergilbt aussahen wie die Papierberge, zwischen denen er lebte.
    »Dies ist eine Karte«, sagte er, streifte ein schmales Lederband von der Papierrolle und öffnete sie. Vorsichtig breitete er sie auf einer freien Stelle des Schreibtisches aus.
    »Liebe Güte, die muss ja steinalt sein«, murmelte Nils beeindruckt.
    Die Farben und Linien waren ausgeblichen, trotzdem ließ sich deutlich erkennen, dass dies eine Karte von Giebelstein und der umliegenden Gegend war. Der Ort sah viel kleiner aus als heute, der Raum innerhalb der Stadtmauern war höchstens zur Hälfte mit Häusern ausgefüllt. Der Bahndamm existierte noch nicht, allein das Hügelgrab hatte man eingezeichnet.
    »Von wann ist die?«, fragte Lisa.
    »Etwa aus dem Jahr 1430«, erwiderte Herr Fleck. »Plus minus zehn Jahre.«
    Die Freunde blickten fasziniert auf die Karte, so als läge allein in den verschlungenen Linien und Symbolen der Schlüssel zur Lösung all ihrer Sorgen.
    »Zu dem Zeitpunkt, als sie gezeichnet wurde, lag die Pestepidemie schon Jahrzehnte zurück«, erklärte der Archivar. »Trotzdem gibt es hier einen Hinweis, der nützlich sein könnte.«
    »Welchen?«, wollte Kyra wissen.
    »Schaut, hier.« Herr Fleck berührte mit seinem Samtfinger eine Stelle westlich der Stadt, tief in den Wäldern, die damals viel größer und wohl auch dichter gewesen waren.
    »Ich seh nichts«, kommentierte Nils mit einem Schulterzucken.
    »Schau genau hin, junger Mann. Hier, vor meinem Zeigefinger.«
    Die vier beugten sich näher über die Karte. Und tatsächlich, vor dem Finger des Archivars entdeckten sie ein kleines schwarzes Kreuz.
    »Was ist das?«, fragte Nils. »Ein Schatz?«
    Lisa rollte mit den Augen. »Du hast zu viele Piratenfilme geguckt.«
    Ihr Bruder schnaubte verächtlich. »Besser als Schnulzen.« Er formte mit den Lippen einen übertriebenen Kussmund und machte ein lautes, schmatzendes Geräusch.

»Ha, ha«, machte Lisa entnervt. »Urkomisch.«
    Kyra funkelte die beiden grimmig an. »Könntet ihr wohl einen Moment lang ernst bleiben?«
    Die Geschwister wechselten noch einmal giftige Blicke, dann konzentrierten sie sich wieder auf die Karte.
    Ein feines Lächeln spielte um die Mundwinkel des Archivars. »Einen Schatz zeigt das Kreuz leider nicht an, tut mir Leid. Das hier ist ein Grab.« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er betont fort: »Darin hat man damals die Pestleichen verscharrt.«
    »Nachdem man ihnen die Nägel in die Stirn geschlagen hat?«, fragte Kyra.
    »Allerdings. Statt sie wie üblich zu verbrennen, hat man sie hier vergraben. Mitten im Wald.«
    »Irgendwer muss sie dort gefunden haben«, stellte Lisa fest.
    »So sieht’s zumindest aus«, bestätigte Herr Fleck.
    »Aber warum sind sie nach all den Jahrhunderten nicht zu Staub zerfallen?«, fragte Chris.
    Der Archivar legte die Stirn in Falten. »Ich wünschte, ich hätte darauf eine Antwort.«
    Kyra spann den Faden bereits weiter. Es brachte ihnen im

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