Sieben Stunden im April
neues Leben geschmissen worden ist, schon aussehen? An meinem Hochzeitstag hat Mary für mich und um mich geweint. Sie weint sonst selten bis nie.
Im Sommer hat sie mich dann besucht. Und sich sofort an ihre Lieblingsbeschäftigung gemacht – Probleme lösen.
Ich hätte so gerne neue Vorhänge im Schlafzimmer.
Gut. Da gehst du zu und kaufst das und das und erkundigst dich vorher noch, ob …
Aha.
Ich habe ein Armband gesehen. Soll ich?
Was für eine Frage. Los, zieh dich an. Wir gehen da jetzt hin.
Aber …
Los. Komm.
Aha.
Mary, ich habe so oft Angst.
Klar. Das ist ja wohl das Normalste überhaupt. Da musst du jetzt durch.
Aha.
Ich vermisse meine Arbeit so sehr.
Logisch. Dann such dir eine Beschäftigung.
Aber …
Kein Aber. Mach Sport, lies was, geh zur Volkshochschule, übernimm ein Ehrenamt.
Aber …
Mensch, da gibt es jetzt keine andere Lösung. Andere Leute schaffen das auch.
Aber ich habe doch …
Vergiss es. Tu was. Du rufst jetzt da und da an und danach machst du …
Aha.
Mary, die wandelnde Problemlösemaschine mit einem Gold-Herzen. Manchmal muss sie zwar geölt oder justiert werden, manchmal macht sie Lärm und läuft unrund. Aber sie ist immer zuverlässig, immer wertvoll. Immer loyal – und das in einem Maß, von dem ich nicht weiß, ob ich es selbst erfüllen könnte.
Irgendwann habe ich Mary besucht. Wir waren um 13 Uhr bei ihr zu Hause verabredet. Ein Anruf: Ich verspäte mich. Aber Helmut ist da. Warte auf mich, ich komme dann bald.
Ich verspäte mich, aber Helmut ist da. Helmut. Okay. Ich klingele, Mary wird bald kommen. Ich kann nicht. Ich kann nicht alleine mit Helmut in diesem Haus sein. Bist du bescheuert? Das ist Helmut. D e r Helmut. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Helmut dir …. Also wirklich. Jetzt mach mal einen Punkt. Ich kann nicht. Ich weiß, dass das Helmut ist. Nur Helmut. Helmut tut mir nichts. Das weiß ich doch. Aber das habe ich von dem anderen auch gedacht. Ich habe mich geirrt. Was, wenn ich mich auch in Helmut irre? Was dann? Du hast einen Knall. Willst du so leben? Angst vor allem und jedem, sogar vor Helmut? Himmel, wo soll das denn noch hinführen mit dir? Direkt in die Klapse? Park jetzt und klingele. Angst vor Helmut – das ist doch lächerlich! Aber Helmut ist groß. Er hat bestimmt viel Kraft. Ich könnte mich niemals gegen ihn wehren. Hallo! Hallooo! Wir reden über Helmut. Gegen einen Helmut musst du dich nicht wehren. Hallo, hörst du mich?
Ich habe Angst. Ich parke drei Straßen weiter und warte, bis ich mir sicher sein kann, dass Mary zu Hause ist.
Wo warst du noch so lange?
Ich habe ihr eine fadenscheinige Erklärung gegeben. Das tut mir leid, Mary. Aber ich konnte damals nicht anders. Es war doch alles noch nicht so lange her, mein neues Leben war doch noch ganz neu. Mary wärmt den Kohleintopf auf. Kohleintopf? Ausgerechnet Kohl? Keiner zwingt dich, das zu essen, meine Süße. Wir lachen. Mit Mary lacht es sich immer gut.
Rentner Helmut, seit Menschengedenken mit Mary verheiratet, mümmelt vor sich hin. Zufrieden. Und er erzählt das Neuste, druckfrisch aus der Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Und Mary sagt etwas. Und Helmut sagt etwas. Und Mary sagt wieder etwas. Und Helmut auch. So geht es hin und her und es klingt falsch und fühlt sich richtig an. So war es und so ist es und so wird es bleiben. Es muss so bleiben. Kein neues Leben für Helmut und Mary! Am Ende wird Mary Helmut zur Schnecke machen. Und Helmut-Schnecke wird knurrend hinaushumpeln. Die Knie wollen auch nicht mehr so richtig. Wieso Knie? »Kein Gelenk der Welt könnte dein Gewicht tragen. Wie wär’s denn mal mit Abnehmen?« Das wird Mary sagen.
»Alles Muskeln«, sagt Helmut.
»Der Alte geht mir echt auf den Zeiger. Aber der ändert sich nicht mehr.« Also, von der Warte her …
Hauptsache, du änderst dich nicht, Mary. Und Hauptsache, du bleibst meine Freundin. Und Hauptsache, du gibst mir irgendwann mal die Chance, mich für deine Normalität zu bedanken. Wie und womit auch immer. Meine Lieblingstasche hast du mir ja schon vor Jahren abgeschwatzt. Aber da fällt mir ein: Willst du das Buffet meiner Großtante Anna haben? Platz hast du doch genug.
Na ja, von der Warte her …
Tante Anna macht alles richtig
Tante Anna ist gar nicht meine richtige Tante und weshalb sie Tante Anna heißt, weiß ich nicht. Ich weiß wenig über die familiären Verflechtungen und Verstrickungen in dem kleinen niedersächsischen Dorf, dem meine Familie
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