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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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Blicken ausgesetzt, die nicht da sind. Niemand ist da. Mein Mann ist im Zimmer. Ich weiß nicht, was er dort tut. Vielleicht schaltet er den Fernseher an und wieder aus. Und wieder an.
    Ich schwimme. Plötzlich ein stechender Schmerz an der Innenseite meines Oberschenkels. Es durchfährt mich, ich steige aus dem Pool. Ich kann mit dem rechten Bein nicht mehr auftreten. Ich rufe meinen Mann an. Kannst du mich abholen kommen? Ich habe irgendwas am Bein. Ich humpele zum Fahrstuhl, auf meinen Mann gestützt.
    In meinem alten Leben bin ich nie gern geschwommen. In meinem alten Leben habe ich mich im Bikini nie nackt gefühlt. In meinem alten Leben hatte ich nie Schmerzen an der Innenseite des Oberschenkels. Es ist erst drei Wochen her, dass mein altesLeben zu Ende gegangen ist. Vor drei Wochen habe ich ein Rheumabad genommen, weil ich den schlimmsten Muskelkater hatte. Mein Körper hat sich gewehrt. Er weiß noch nicht, dass er sich nicht länger wehren muss.
    Später sitzen wir auf dem Balkon unseres Hotelzimmers, eingehüllt in weiße Bademäntel, deren Flauschigkeit mir unheimlich ist. Neu sind sie nicht. Oder? Wir essen geschmuggelten Käse und gespendetes Obst. Kleiner Gruß des Hauses. Danke. Bitte. Gern geschehen. Dazu gibt es Weißbrot. Teller, Besteck und Servietten brauchen wir nicht. Wir trinken Dosenbier und ich versuche, mein immer noch schmerzendes Bein nicht zu belasten. Der letzte Abend des Aprils 2009 ist warm und angenehm, obwohl er in Bad Sachsa stattfindet. Wir sitzen auf diesem Balkon. Vom Kurpark klingt Musik herüber. Tanz in den Mai. Eine Coverband covert Rock, Pop, Hits. Die meisten Stücke kennen wir. Manchmal singen wir mit. Und wenn die Sache mit dem Bein nicht wäre – wer weiß, vielleicht würden wir tanzen.
    Wir sitzen in weißen Bademänteln auf dem Balkon und hören zu. Und umarmen uns, wie zwei Klammeräffchen. Oder wie ein sehr altes, sehr weises, sehr einsames Ehepaar. Und alles fühlt sich richtig an.
    Irgendwann werden wir wirklich ein altes Ehepaar sein. Ob sich dann noch alles richtig anfühlt, wird sich zeigen. So wie bei Mary und Helmut.

Mary macht Kohl
    Mary heißt nicht Mary. Mary hat einen dieser harmlosen Namen aus den 50er Jahren, die heute aus der Mode sind. Marywohnt in einem harmlosen Haus in einer harmlosen Straße in einer harmlosen Stadt in einem harmlosen Bundesland. Mary hat einen harmlosen Job. Mary ist mit dem harmlosen Helmut verheiratet, Mary ist eine meiner besten Freundinnen, Mary ist überhaupt nicht harmlos. Mary ist überhaupt nicht Durchschnitt. Mary ist etwas ganz Besonderes. Mary ist nämlich eine wandelnde Problemlösemaschine. Das mag daran liegen, dass Mary im Laufe ihres Lebens schon genug Probleme an der Backe hatte. Aber das kennen andere Menschen auch. Ich glaube, es liegt eher einfach nur an Mary. Na ja, von der Warte her …, würde sie jetzt sagen. Das ist nämlich ihr Lieblingsspruch.
    In meinem alten Leben war sie meine erste Beraterin in allen Liebes-, Berufs-, Bekleidungs- und Erziehungsfragen. In meinem alten Leben gab es Telefonate wie dieses:
    »Ich weiß nicht, ich liebe ihn. Aber soll ich mich wirklich auf ihn einlassen? Soll ich mich wirklich scheiden lassen? Das ist alles so kompliziert. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Soll ich das wirklich machen? Ich kann doch nicht … Und wie soll das überhaupt enden? Und wenn …«
    Stille am anderen Ende. Das bedeutete noch nie etwas Gutes. Besser schnell weiterreden:
    »Mary, du verstehst doch bestimmt, dass das alles wirklich furchtbar kompliziert ist. Was, wenn ich mich irre? Wenn er gar nicht so toll ist, wie ich denke? Und wenn es doch nicht gutgehen sollte? Was dann?«
    Bloß keine Pause zulassen. Weiterreden. Immer weiterreden. Ihre Stimme unterbricht meinen Redefluss: »Jetzt halt mal die Luft an und hör mir zu.«
    Und dann die Ansagen. Irgendwann muss ich lachen und den Zaubersatz sagen, der manchmal geeignet ist, sie zum Schweigen zu bringen. Ist ja gut. Du hast recht.
    Na dann, von der Warte her …
    Meine Mary. Sie war eine der Ersten, die mich in meinem neuen Leben begrüßt hat: Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Ich bin da. Vorerst brauchte ich nichts von ihr außer diesem Satz. Ein solches Eine-Frau-Begrüßungskomitee tat gut.
    Mary war meine Trauzeugin. Sie hatte an alles gedacht – Geschenke, Prosecco, Hochzeitstorte. Sie hat sogar daran gedacht, mir keine Fragen zu stellen oder Kommentare dazu abzugeben, wie ich aussah. Wie sollte eine Braut, die gerade in ein

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