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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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bestellen uns eine Pizza mit Thunfisch, okay?«
    Manchmal hilft nur noch Pizza. Ich glaube, ich habe meine nicht ganz aufgegessen. Der Rest wanderte in den Müll. Wer weiß, wer sie dort gefunden hat, die halbe Pizza mit Thunfisch, Zwiebeln und Kapern.

Armut macht keinen Spaß
    Vor einigen Wochen habe ich in der Stadt, in der ich mein neues Leben lebe, den Müll, den ich in meinem neuen Leben produziere, zum Müllcontainer getragen. Zwei Plastiktüten und ein verblühtes Margeritenbäumchen. Hochstamm. Wie immer trotz bester Pflege rasch eingegangen. Ich hatte noch nie ein glückliches Händchen für und mit Margeritenbäumchen.
    Am Müllcontainer steht ein Mensch, den ich nicht kenne. Ich kann nicht sagen, ob Mann oder Frau. Ich kann nur sagen: alt, gebeugt, langes, wirres, graues Haar. Braungraues Gesicht, unklar, ob von der Sonne oder vom Schmutz. Falten. Dreckige Kleidung: Hose und irgendwas drüber. Auch undefinierbares Graubraun. Dafür, dass ich nicht hingesehen habe, habe ich eine Menge gesehen, finde ich.
    Neben der Ökotonne ein Rucksack. Schmierig. Leer? Leer. Ich sehe weiter nicht hin und merke doch alles: Er oder sie zieht ein Kleidungsstück aus der Tonne für den Restmüll. Er/Sie zieht das Kleidungsstück, ein alter Pullover scheint es zu sein, heraus, faltet ihn auseinander, begutachtet ihn. Flüchtig fühle ich mich an einen Besuch in einer Boutique erinnert: Pullover aus dem Regal nehmen, auseinanderfalten, prüfen. Und »och nee« denken. Auf Wiedersehen. Klingeling macht die Türglocke.
    Ich weiß nicht, was er/sie mit dem Pullover gemacht hat. Gab es noch mehr Beute in dem, was wir wegschmeißen? Der Mensch hat mich nicht beachtet, nicht begrüßt, nicht angesehen. Keine Scham. Nur große Konzentration. Wie am Wühltisch bei C&A.
    Ich schmeiße meine Mülltüten weg und stelle das Margeritenbäumchen neben die Ökotonne. Es ist verblüht, aber eigentlich sieht es trotzdem noch ganz passabel aus, denke ich plötzlich.
    Ich lasse das Bäumchen stehen und erledige die Dinge, die ich dringend zu erledigen habe oder auch nicht. Mir fällt ein Satzein: Es ist schon über so viele Dinge Gras gewachsen, dass man bald keiner Wiese mehr trauen kann.
    Ich weiß nicht, von wem er ist, und ich weiß nicht, warum er mir gerade jetzt einfällt. Aber er ist gut. Und ich bin dankbar. Für diesen Satz und für die Fülle. Für so vieles, für das ich keinen Namen habe. Dankbar fürs Überleben.
    Als ich wiederkomme, sind sie verschwunden – der Mensch und mein Margeritenbäumchen. Verschwunden wie damals die Maiglöckchen.
    Vor einigen Tagen bin ich vom Einkaufen nach Hause gekommen. Ich habe einen gut gefüllten Einkaufskorb und eine Kiste Bier vor der Haustür abgestellt, ehe ich mein Auto in die Garage gefahren habe. Er/Sie wühlte wieder in den Mülltonnen, sah mich nicht, ignorierte mich in meiner Normalität und Sauberkeit. In meinem Reichtum.
    Als ich zurückkehrte, fünf bis zehn Minuten dürften wohl zwischenzeitlich vergangen sein, war der Mensch schon wieder fort. Sein Weg musste ihn an meinen Einkäufen vorbeigeführt haben. Es fehlte nichts.
    Aber die Maiglöckchen sind nie wieder aufgetaucht. Damals.

Nur Holländer machen Aprilglöckchen
    Meine Hochzeitsschuhe. Vergessen im alten Leben. Mein Schmuck. Vergessen im alten Leben. Meine Strümpfe. Vergessen im alten Leben. Wir können doch jetzt nicht mehr heiraten. Und nun erst recht, hat er gesagt. Ohne passende Schuhe, passenden Schmuck, passende Strümpfe. Und ohne zu wissen, ob das neue Leben passt.
    Vor vielen, vielen Jahren, in einem ganz anderen Leben, war ichauf einer Fortbildungsreise in Prag. Vorher in Auschwitz, hinterher in Theresienstadt. Ich habe dort, wie so viele andere Menschen vor und nach mir, Schreckliches gesehen. Nur gesehen, nicht erlebt. Dank der Gnade der späten Geburt.
    Es war Frühsommer in Prag. Am Ausgang einer U-Bahn-Station stand eine sehr alte Frau mit Kopftuch und runzeligem Gesicht und hat Maiglöckchen verkauft. Ich habe einen kleinen Strauß mitgenommen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie ich ihn nach Hause bekommen sollte. Er lag dann noch Tage im Koffer, tagsüber haben die Maiglöckchen verschiedene Zahnputzbecher verschiedener Hotels kennengelernt und erst daheim eine Vase bekommen. Ich kann es nicht erklären, aber ich hatte diesen Maiglöckchenstrauß noch sehr lange. Tapfere Maiglöckchen. Vielleicht kann ein Botaniker etwas dazu sagen. Ich kann es nicht. Fest steht, diese Maiglöckchen haben mir

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