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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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guter Psychiater. Ich kann das aus zweierlei Perspektiven beurteilen. Wahrscheinlich lästert er auch ab und zu über seine Patienten. Aber das ist mir egal. Es hat eine Zeit gegeben, in der ich froh und dankbar gewesen wäre, wenn auch mein Mann ihn kennengelernt hätte. Aber so weit ist esnicht gekommen, weil wir stattdessen nach Bad Sachsa gefahren sind.

Bad Sachsa macht alt
    Bad Sachsa liegt im Harz und ist, wie der Name schon sagt, ein Kurort. Kurort im Harz wiederum ist gleichbedeutend mit: älteren Menschen, gähnender Langeweile, Dunkelheit, schlechtem Wetter, noch schlechterer Musik und abgestandener Limonade.
    Ich kann das beurteilen, weil ich als wehrloses Kind mit meinen Eltern Wochenendausflüge in den Harz zu unternehmen hatte, mit Wanderungen um einen der zahllosen Stauseen, mit der Erkundung einer Tropfsteinhöhle oder dem Besuch eines Kurkonzerts – aus der Sicht einer Zehnjährigen war das wie die Wahl zwischen Pest, Cholera oder Lepra. Das einzig Gute an den Wanderungen waren die Spiegeleibrote meiner mittlerweile schon lange verstorbenen Tante Pia. Das einzige Gute an den Kurorten war der Märchenwald in Bad Sachsa, den es heute noch gibt. Eine erholungstechnische Alternative zum Harz war lediglich das Weserbergland. Auch nicht viel besser.
    Ende April 2009. Eine frisch verheiratete Frau, zum Glück verpflichtet, sieht sich ratlos in ihrem neuen Leben um. Ihr Mann auch. Der erste Tag in Ruhe, ein verlängertes Wochenende vor der Tür, kein Besuch. Nichts zu erledigen, was nicht später hätte erledigt werden können Was machen wir jetzt, heute, morgen, übermorgen? Keine Idee. Schweigen. Ich möchte ans Meer. Schweigen. Ratlosigkeit. Unaussprechliches. Was machen wir mit diesem neuen Leben? Keine Antwort. Nicht mal ein Echo.
    Der Mann, mein Mann, schaltet den Fernseher ein und wiederaus. Ich sitze in der Küche und blicke ins Nichts. Ich starre. Das Nichts starrt zurück. Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem alten Leben, in der wir nie Zeit hatten. So viele Ideen, Pläne, Unternehmungen, Verabredungen. Das ist lange her. Zeit im neuen Leben ist im Überfluss vorhanden. Was machen wir jetzt? Keine Idee. Schweigen.
    Mein Mann trinkt zu viel und schläft zu wenig. Meine Zuviels und Zuwenigs sind andere. Ich rauche zu viel, esse zu wenig, schlafe nicht. Mein Mann sagt, der andere habe ihm seine Frau genommen, das Liebste, was er habe. Ich sage: Aber ich bin doch da. Sieh mich an – ich bin doch da. Nein, er hat dich mir genommen. Ich verstehe nicht, was er meint.
    Ich sage, ich bin beschmutzt. Es klebt an mir. Nein, das bist du nicht. Nein, das tut es nicht. Wie kannst du so etwas sagen? Er versteht nicht, was ich meine.
    Endlose Gesprächsschleifen. Vorwürfe: du hast nicht auf mich gehört. Du hast nicht auf dich aufgepasst, wie du es mir versprochen hattest. Du hast dich nicht genug gewehrt gegen den. Warum nicht? Was war los mit dir? Wo waren die anderen? Die, die dir hätten helfen müssen? Das Messer. Warum hast du ihm nicht das Messer in den Hals gestoßen? Tränen. Warum sagst du das? Ich konnte nichts tun. Ich habe doch überlebt. Sag so etwas nicht. Bitte.
    Es tut mir leid, es tut mir so leid. Ich will dir doch nicht wehtun. Ich bin nur so wütend.
    Ich weiß. Ich auch, glaube ich, ohne es wirklich fühlen zu können. Ich möchte mein altes Leben wiederhaben.
    Du bist doch jetzt bei mir. Bei mir bist du sicher.
    Bestimmt? Bestimmt.
    Und wieder von vorn. Endlos. Immer wieder das Alte aufs Neue.
    Was machen wir jetzt? Keine Idee. Schweigen.
    Es ist normal, in unnormalen Situationen unnormal zu reagieren, zu reden, zu fühlen. Und zu lieben.
    Was machen wir jetzt?
    Wir fahren nach Bad Sachsa. In dieses Hotel aus dem Prospekt. Wo ist er, der Prospekt? Hast du ihn weggeschmissen? Nein, das habe ich nicht. Ordnung fehlt im neuen Leben, aber schließlich findet sich das Heft.
    Bad Sachsa ist nicht weit weg. Vielleicht hundert Kilometer, vielleicht etwas mehr oder etwas weniger. Schweigend sind aber auch zehn Kilometer viel zu weit.
    Im Hotel gehe ich schwimmen. Niemand außer mir ist da, die älteren Herrschaften dürften bereits beim Abendessen sein. Oder beim Bridge. Oder beim Umsonst-Cocktail in der blauen Stunde. Kleine Aufmerksamkeit des Hauses. Danke. Bitte. Gern geschehen. Auf die Gesundheit, auf das Leben, auf das, was wir lieben, wenn wir nicht schon vergessen haben, was das ist oder mal war.
    Ich schwimme hin und her. Das Wasser umgibt mich kühl und ich fühle mich so nackt und

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