Sieben Stunden im April
kalt war:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alles zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass uns Gott in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Faktum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet. 6
Die Überschrift lautete in aller Schlichtheit Ich glaube . Mehr nicht. Ich weiß nicht, ob das ein Gebet ist oder ein Bekenntnis, das ich damals in der Schlosskirche zu Putbus gefunden und abgeschrieben habe. Es schien mir wichtig, diesen Text von dort mitzunehmen. Zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht wusste, dass ich in einigen Tagen fluchtartig das Ozeaneum in Stralsund verlassen werde. Ich wusste damals auch noch nichts von einer Verwandlung. Und ich wusste nichts von diesem, meinem Buch. Ich wusste nur, dass ich an diesen Worten Bonhoeffers nicht einfach vorbeigehen kann. Weswegen auch immer.
Vielleicht weil es die Worte eines Mannes sind, der am 9.4.1945 hingerichtet worden ist. Eines Mannes, der nie die Chance hatte, ein altes Leben zu beweinen.
Ich habe diese Worte mit klammen Fingern einen Tag vor meinem fünfzigsten Geburtstag gefunden und mitgenommen. Als so eine Art vorzeitiges Geschenk.
Am anderen Morgen bin ich aufgewacht und habe mich umgesehen in unserem Ferienhaus, ich habe auf den Bodden hinausgesehen, die Kormorane beobachtet und gewartet. Außerdem habe ich an den Vortrag meines Mannes gedacht – der Kormoran, Vogel des Jahres 2010. Ausgerechnet diese Mistviecher, die alle Fische wegfressen. Die Angler sind wütend. Schützenswert? Dass ich nicht lache! – Er hatte sich richtig in Rage geredet, mein Mann. Tun sie das wirklich, die Kormorane? Sind sie so?
Ich habe darauf gewartet, dass sich das neue Leben anders anfühlt, an diesem Tag, meinem fünfzigsten Geburtstag. Das tat es nicht. Die Zahl war so unwichtig. Nur eine Zahl.
In meinem alten Leben hätte diese Zahl eine ganz andere Bedeutung gehabt. Eine große Bedeutung. So groß, dass sie uns einen Flug auf die Malediven wert gewesen wäre. Die Malediven sehen. Im Dezember. Bevor sie wie Atlantis für immer im Meer verschwinden. Ein Wunsch aus dem alten Leben. In meinem neuen Leben kann ich nicht fliegen. Ich will nicht fliegen. Wie soll ich aus einem Flugzeug rauskommen, wenn die Dämonen auftauchen? Würden Sie bitte mal eben schnell landen – ich habe eine Panikattacke. Vielen Dank.
Ich bin froh, dass ich Amerika, Australien und fast alle europäischen Länder bereits gesehen habe. Und nun bin ich, statt auf den Malediven, auf Rügen. Ist ja auch eine Insel.
Frühstück im Bett, ein dicker Blumenstrauß, von Anja geschickt, Spaziergang am Kap Arkona bei strammem Wind, bis zum Leuchtturm gefahren, obwohl das verboten ist. Kein Mensch da außer uns, dem Meer, dem Wind und Hühnergöttern. Ich habe keinen gefunden. Aber ich habe auch nicht ernsthaft gesucht.
Hühnergötter. So heißen die lustig geformten Steine mit einem Loch in der Mitte. Sie dienten früher dazu, Hühner vor demEinfluss böser weiblicher Geister zu schützen. Dachten die Slawen. Gegen böse männliche Geister helfen sie sowieso nicht.
Wir gehen spazieren. Die Ostsee tobt mir Glückwünsche entgegen, der eiskalte Wind gratuliert. Denkt der Mann an meiner Seite an die Malediven?
Abends sitze ich in der Küche unseres Ferienhauses und betrinke mich mit Champagner. Mein Mann steht am Herd, in einer Welt, die er hasst, und hantiert mit Töpfen, Geräten, die ihm Angst machen, wie er gerne behauptet. Es gibt Spaghetti mit Schafskäse und Knoblauch. Er arbeitet mit aller ihm zur Verfügung stehenden Konzentration und zerschneidet eine ganze Knoblauchknolle.
Der Blumenstrauß von Anja steht auf dem Tisch. Weiße Lilien. Zum Wohl. Auf uns, auf Anja, auf das neue Leben. Auf dich, sagt der, der den Knoblauch zerschneidet.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden,
dass ich immer und bei jeder Gelegenheit
zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
und dass alles, was geschieht, richtig ist –
von da
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