Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
Vom Netzwerk:
für den sich nichts geändert hatte. Ein anderes Gefängnis, ein anderer Haftraum, ein neues Opfer in der Erinnerung, andere Opfer vielleicht schon im Blick. Wer weiß das schon. Ansonsten alles beim Alten.
    Hier der Brief. Die Namen der erwähnten Personen habe ich unkenntlich gemacht. Die können nichts dafür. Aber das ist das einzige Zugeständnis, zu dem ich bereit bin. Ich war lange Zeit der Ansicht, dieser Brief ginge nur den, der mir mein altes Leben genommen hat, und mich etwas an. Einige Sätze sind nur für ihn verständlich, geschrieben in der Annahme, es sei nur eine Sache zwischen ihm und mir. Diese Annahme ist falsch – es gibt keine Privatheit zwischen Täter und Opfer. Leid ist öffentlich. Die Abrechnung auch.
    Der Tag, an dem Sie versuchten, mich zu ruinieren, und den Menschen, die mir wichtig sind und die ich liebe, unglaublichen Kummer zugefügt haben, hat sich vor kurzem gejährt.
    Ich frage mich, wie Sie ihn verbracht haben.
    Sie wissen, dass ich Ihre stammelnd vor Gericht hervorgebrachten Entschuldigungen nicht akzeptiere. Sie verletzen Menschen, d ie Ihnen nahestehen und die Ihnen vertrauen. Und manchmal töten Sie auch. Und Sie lügen. Sie haben mich und mein Team angelogen, Sie haben Frau T. angelogen, Sie haben Ihre Frau angelogen, Ihre Tochter, Ihre vielen anderen, teils namenlosen Opfer. Auch Frau T. Und die arme Frau M. wäre Ihr nächstes Opfer gewesen. Es ging Ihnen natürlich nicht darum, mit ihr zu sprechen – was hätten Sie wohl mit ihr in meinem Büro gemacht, wenn es dazu gekommen wäre? Wäre sie still geblieben? Hätte sie geschrien? Wäre sie an der Knebelung erstickt? Hätten Sie auch gerne die Panik in den Augen dieser hilflosen, gutgläubigen, schwer belasteten Frau gesehen, die sich niemals gegen Sie hätte wehren können? Ja, K., hätte Ihnen das Spaß gemacht? Hätte Sie das erst richtig auf Touren gebracht?
    Sie haben Ihren Bruder belogen und Ihre Nichte – gut, dass dieses nette Mädchen niemals alleine sein wird mit Ihnen. So viele Menschen haben an Sie, den Mörder, den Vergewaltiger, geglaubt.
    Ich habe in dem vergangenen Jahr oft an Ihre Großeltern denken müssen. Und an die Geschichte von dem Jungen, der in das Fell eines Hundes weint. Sie haben so viele Menschen enttäuscht und angelogen. Auch solche, die schon verstorben sind, wie Ihre Großeltern. Oder Herr E. Und Ihre Mutter sowieso.
    Ihnen war völlig bewusst, wie Sie mich verletzen und dauerhaft schädigen – Sie haben nämlich über vier lange Jahre nichts anderes gelernt. Sie haben es gewusst und beabsichtigt. Also entschuldigen Sie sich nicht. Das war doch genau das, was Sie wollten – mal wieder eine Frau zutiefst demütigen und zerstören. Ihre Entschuldigungen sind gelogen, so wie sie immer gelogen waren.
    Aber Sie haben mich nicht zerstört, K.
    Und egal, in welchem Gefängnis und unter welchen Bedingungen Sie den Rest Ihres Lebens verbringen – die anklagenden Blicke Ihrer Opfer werden Sie begleiten. Auch die stummen Fragen der vielen Menschen, die Sie angelogen und enttäuscht haben, w erden immer da sein. Die der lebenden und die der toten. Und bei einer Verlegung, wohin auch immer, wird Ihre Geschichte Ihnen vorauseilen und schon auf Sie warten.
    Und auch in dem unwahrscheinlichen Fall einer Entlassung werden Sie erwartet. Egal wann, egal wo – Sie werden erwartet und dem können Sie nicht entgehen.
    Vergessen Sie das nie, K. Fühlen Sie sich zu keiner Zeit und an keinem Ort sicher.
    Die Muschel nützt Ihnen jetzt nichts mehr.

    Susanne Preusker
    Dieser Brief hat den, für den er geschrieben worden ist, nie erreicht, er hat die Briefzensur nicht schadlos passiert. Ich weiß nicht, wer ihn gelesen und entschieden hat, der Inhalt sei nicht zumutbar. Ich weiß nicht, wer entschieden hat, der Brief sei in der Akte besser aufgehoben als im Kopf desjenigen, für den er bestimmt war. Vielleicht hätte ich in meinem alten Leben genauso entschieden. In meinem neuen gibt es diese Regeln aber nicht mehr. Neues Leben, neue Regeln.
    Die Briefe, die ich bekomme, landen in meinem Briefkasten und dann auf meinem Tisch. Ich lese sie und meistens bin ich dabei alleine mit mir und diesen Briefen, die nicht immer angenehm sind. Niemand wacht darüber, ob die Inhalte mir zumutbar sind. Niemand.

Kälte macht klamme Finger
    Niemand außer mir war in der Kirche zu Putbus, als ich im Winter, kurz bevor der Schnee kam, den folgenden Text gelesenund abgeschrieben habe. Mit klammen Fingern, weil es doch schon so

Weitere Kostenlose Bücher