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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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an konnte ich ruhig sein.
    Heute weiß ich: das nennt man »Vertrauen«.
    Das sind die Anfangszeilen eines Gedichtes mit dem Titel »Als ich mich selber zu lieben begann«. Charlie Chaplin hat es zu seinem siebzigsten Geburtstag im April 1959 geschrieben. In meinem Geburtsjahr also. Anja hat mir das Gedicht geschenkt. Ich kannte es vorher nicht. Es ist lang, sehr lang und klug. Und überhaupt nicht komisch.
    Und ich wünsche mir mal wieder, ich hätte im Frühjahr oder Sommer Geburtstag und nicht kurz vor Weihnachten. In einerJahreszeit, in der jeder anderes zu tun hat, als an Geburtstage zu denken, und schließlich aus purer Verzweiflung pausbäckige Engel oder Christbaumkugeln oder Teelichthalter in Elchform verschenkt. An mich, in diesem Fall.
    Hätte ich im Sommer Geburtstag, könnte ich meinen Champag­ner im Strandkorb schlürfen. Wie damals. Auf Sylt. Am richtigen Ort, in einer richtigen Zeit.

Nordseeluft macht rote Wangen
    »Komm, fahr mit mir nach Sylt.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Anja.«
    »Probier es aus. Fahr mit mir nach Sylt.«
    Ich kenne fast jede deutsche Insel. Nur auf Sylt war ich noch nie. Warum eigentlich nicht?
    Anja schließt ihre Praxis für eine Woche. Ich packe meinen Koffer. Es ist das erste Mal in meinem neuen Leben, dass ich mit einer Freundin wegfahre. In den Urlaub. Urlaub – das klingt nach Arbeit, Stress, sich freuen können, ausspannen müssen, genießen. Urlaub – das Wort klingt so, als hätte es in meinem neuen Leben nichts zu suchen. Urlaub wovon?
    Wir fahren durch den Elbtunnel. Anja fährt meinen Wagen. Der ist größer als ihrer. Die Golfausrüstung braucht Platz. Mit Golfausrüstung nach Sylt. In meinem alten Leben wäre das eine prima Gelegenheit gewesen für sarkastische Sprüche und miese Bemerkungen. Für Spaß.
    Heute geht es um anderes. Zum Beispiel um die Frage, wie schaffe ich es, durch den verdammten Elbtunnel zu kommen. Wie schaffe ich es, wenn es einen Stau geben sollte. Wie schaffe ich es, nicht durchzudrehen?
    »Sollen wir lieber durch die Stadt fahren?«, fragt Anja.
    »Nein.«
    Hätte ich doch Ja gesagt, denke ich. Kurz vorm Tunnel.
    Die Einfahrt. Dunkel. Bedrohlich.
    Ich schließe die Augen und halte mein Beruhigungsmittel vorsichtshalber ganz fest in meinen schweißnassen Händen. Ich lehne mich zurück. Mit geschlossenen Augen.
    »Erzähl mir was, Anja. Rede mit mir.«
    Anja erzählt. Von Amerika, glaube ich. Genau weiß ich es nicht mehr. Wir kommen gut durch den Tunnel.
    »Was hast du mir eigentlich erzählt, Anja?«
    »Keine Ahnung. Irgendwas.«
    Anja. Mit Anja fühle ich mich sicher, weil sie alles Notwendige immer dabeihat: ihre Golftasche, ihre Akupunkturnadeln, ihr Meditationskissen, ihren Buddhismus, ein oder zwei Flaschen trockenen Rotwein, ihre Gelassenheit, ihre Klarheit, ihren trockenen Humor. An Anja ist nichts plump. An Anja ist alles authentisch. Wenn es jemanden gibt, auf den dieses elendige Adjektiv passt, dann ist es Anja: Sie ist durch und durch authentisch. Da ist nichts künstlich, aufgesetzt, unecht. Gar nichts.
    Ich erinnere mich an ein Telefonat, das viele Jahre zurückliegt. Wir waren verabredet und ich habe auf den letzten Drücker abgesagt. Kind, Job, Haushalt, alles viel zu viel. Keine Lust, hätte ich auch sagen können. Anja hat mir in zwei, drei Sätzen erklärt, weswegen sie eine solche kurzfristige Absage nicht hinzunehmen gedenkt. Wir haben uns dann getroffen, der Abend, in meinem alten Leben und heute in weiter Ferne, war richtig nett. Anja ist nicht nett, sie ist klar und setzt Grenzen. Das mochte ich schon immer sehr an ihr.
    Heute, in meinem neuen Leben, gibt sie mir Halt.
    Sommer auf Sylt. Das ist Strand und Meer und Luft und Fisch essen. Das ist der Vorsatz, Golf zu spielen und viel zu lesen. DerVorsatz bleibt, was er ist – ein Vorsatz. Stattdessen: Pflaumenkuchen mit Sahne löffeln, Grappa für 9 Euro trinken, klönen, Leute gucken, Golden Retriever zählen. Stattdessen: das Bistro »Die drei Hasen« entdecken, und viel zu teure Taschen kaufen, über den Sylter Einheitslook lachen. Schwöre, dass du nie mit einem Kerl ankommen wirst, der sich einen rosafarbenen Strickpullover mit Zopfmuster über die Schultern hängt. Los. Schwör’s.
    Wir lachen auch über Kampum, eine Wortschöpfung von mir. Wir tauschen Kochrezepte aus. Zum Beispiel das mit dem gebackenen Ziegenkäse. Das habe ich mir abends im »Gogärtchen« diktieren lassen. Anja hatte schon ein paar Gläser Rioja intus. Den Wagen haben wir

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