Sieben
zählten, »Die Göttinger Sieben«.
Der Hintergrund war allerdings keineswegs märchenhaft, ging es der Gruppe doch darum, den angekündigten Verfassungsbruch des
neuen Königs von Hannover, Ernst August I., öffentlichkeitswirksam anzuprangern. Dass sich zu diesem Schritt genau sieben
Professoren bereitfanden, lag indes daran, dass der große Rest des 4 2-köpfigen Kollegiums jene zu erwartenden Konsequenzen scheute, die denn auch am 14. Dezember – zwei Tage vor Wilhelm Grimms 51. Geburtstag – auf dem Fuße folgten: Alle sieben wurden ihrer Ämter enthoben und mussten die Stadt binnen drei Tagen verlassen.
Denkmal der Brüder Grimm von Syrius Eberle in Hanau
Der Rest verläuft wie in der Erstversion: Das Schwesterlein macht sich auf die Suche, findet die Brüder, wird von ihnen erkannt,
und sie herzten und küssten einander und zogen fröhlich heim.
Ähnlich wie bei den sieben Raben griff das Siebenmuster nach und nach auch in anderen Kinder- und HausmärchenPlatz, bis schließlich in der letzten von den Grimms autorisierten Auflage von 1850 jedes sechste Märchen in irgendeiner Form
Bezug auf die Sieben nahm. Es war dies im großen Ganzen jene Version, die sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von Europa ausgehend in alle Welt verbreitete, wo ›Grimm’s fairy tales‹, ›Les contes de Grimm‹ oder ›Gurimu Meisaku
Gekijo‹ seither nicht nur als Inbegriff des Märchens schlechthin gelten, sondern auch das Bild der Deutschen wesentlich mitprägen.
Entgegen der landläufigen Auffassung, Jacob und Wilhelm Grimm seien von Dorf zu Dorf gezogen, um eifrig jene Märchen und Legenden
mitzunotieren, die man ihnen unter dem Lindenbaum oder im Gasthaus erzählte, bewegte sich das sprach- und mythenforschende
Brüderpaar in Wahrheit nur selten aus seinen Bibliotheken fort. Waren es anfangs vor allem belesene Frauen wie die Kasseler
Schwestern Hassenpflug, die Schwälmer Pfarrerstochter Friederike Mannel oder die Schwestern Annette und Jenny von Droste-Hülshoff,
die den Grimms Märchenstoffe, Mythen und Legenden zutrugen, so griffen die Grimms zunehmend direkt auf die literarischen Quellen
zu, darunter mittelalterliche Versnovellen und Legenden, Schwank- und Anekdotenbücher, Tierfabel-Sammlungen, Wunderzeichenbücher
sowie – vor allem – die Märchensammlungen des Neapolitaners Giambattista Basile (1575 bis 1632) und des französischen Ministerialbeamten
und Schriftstellers Charles Perrault (1628 – 1703). Bereits im Anhang zu den ›Drei Raben‹ verwiesen Jacob und Wilhelm Grimm auf das Märchen ›Li sette palommielle – Die
sieben Täubchen‹ aus Giambattista Basiles Märchensammlung ›Pentamerone‹, in der es im Übrigen von sieben Speckschwarten, sieben
Spindeln, sieben Feigen, sieben Paar Eisenschuhen, sieben Schilfblättern, sieben Palästen und anderen Siebenbezügen nur so
wimmelt. Obwohl auch der Franzose Perrault weitgehend aus Vorhandenem schöpfte, kommt ihm das Verdienst zu, die jeweilige
Erstversion der populärsten Grimm’schen Märchen verfasst zu haben, welche da heißen: ›Rotkäppchen‹, ›Frau Holle‹, ›Der gestiefelte
Kater‹, ›Aschenputtel‹ und ›Dornröschen‹. Ähnlich wie Basile steigert auch Perrault die dramatische Wirkung gerne durch den
Einsatz der Sieben. So ist ›Le petit poucet‹ – zu Deutsch: ›Der kleine Däumling‹ – schon bei Perrault zugleich der kleinste
und klügste einer siebenköpfigen Brüderschar, die von ihren Eltern mangels Geld für Nahrung ins Leben entlassen wird und prompt
bei einem Menschenfresser landet, der nicht nur sieben Töchter, sondern fatalerweise auch ein Paar Siebenmeilenstiefel sein
Eigen nennt.
So gibt es nur wenige Menschen in Spanien, Mexiko, Argentinien, Chile oder Ecuador, denen ›Schneewittchen und die sieben Zwerge‹
nicht als ›Blancanieves y los siete enanitos‹ vertraut wären. Ebenso wie sich die Siebenmeilenstiefel in Frankreich, Haiti
und Teilen Afrikas als »Bottes de sept lieues« etablierten oder wie ›The Wolf And The Seven Little Goats‹ (›Der Wolf und die
sieben Geißlein‹) in Großbritannien,Nordamerika, Australien und Neuseeland die Furcht vor »Isegrimm« am Leben hält.
Dass die Grimms schon zu Lebzeiten sowohl ihre Vorgänger als auch die zeitgenössische Konkurrenz ausstachen, lag allerdings
weniger an der reichhaltigen Sammlung als an der poesiereichen Sprache, mit der Wilhelm Grimm den oftmals recht simplen
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