Sieben
Doch auch jener Unterweltfluss, dem wir in der
hellenistischen Sagenwelt unter dem Namen Styx wiederbegegnen und an dessen Ufer der Barde Orpheus dereinst sieben Tage und
sieben Nächte lang das steinerne Herz des Fährmanns Charon gesanglich erweichen wird, wurzelt letztlich im Sumerischen:
Kommst du aber zum Wasser des Todes – was willst du tun?
Gilgamesch, da ist Urschanabi, Utnapischtims Schiffer!
Geh hin, dass er dein Angesicht schaue!
Wenn’s möglich ist, fahr über mit ihm,
Wenn’s nicht möglich ist, weiche hinter dich!
Offensichtlich lechzten bereits die Mesopotamier nach gut erzählten Geschichten, und so reihten sich neben ›Gilgamesch‹ bald
zahllose weitere, von den Beziehungen zwischen Göttern und Menschen kündende schriftliche Mythen. Doch egal, ob darin von
Gott Enki (= Herrscher der Erde), Windgott Enlil (= Herr der lauten Worte), dem Pestgott Erri oder von dem einen oder anderen
regionalen Hauptgott die Rede ist: Immer wieder springen dem keilschriftlich versierten Leser neue Siebenbezüge ins Auge.
So werden auf den Tontafeln dutzendfach Siebentage-, Siebenmonats- und Siebenjahresfristen beschworen, verbreiten erstmals
»sieben Dämonen« oder »siebenköpfige Schlangen« den erwünschten Schauder, geben sich »sieben Mal sieben Helfer«, »sieben Richter«
oder »sieben Helden« ein Stelldichein. Von mystisch-elementaren Siebenbezügen wie den »sieben Bergen«, den »sieben Flammen«
oder den »sieben Stürmen«, den »sieben Weisheiten« und den »sieben Schrecken« ganz zu schweigen. Immer wieder aber künden
die Epen von jener »Siebengottheit«, die im Bewusstsein der Sumerer synonym für »Universalgottheit« steht und die in den erwähnten
siebengeschossigen Tempeln ihre kultarchitektonische Entsprechung findet.
In der sumerischen Hochkultur des dritten vorchristlichen Jahrtausends – lange vor Ägypten, Persien, Nordindien oder China
– finden also im Grunde bereits sämtliche mythisch-mystisch-heiligen Siebenbezüge Erwähnung, die erst sehr viel später in
Judentum, Christentum, Zoroastrismus, Hinduismus, Islam, Daoismus, Konfuzianismus oder Shintoismus Einzug halten; die in religiösen
Abspaltungen, Mysterienkulten, kabbalistischen Berechnungen, christlicher oder islamischer Exegese aufs Mannigfaltigste variiert
undmultipliziert werden; die die Mythen-, Märchen-, Aberglaubens- und Buchwelt bis in unsere Tage beeinflussen, und die letztlich
bis in die weltlichen Strukturen aller nachfolgenden Epochen hineinwirken sollen.
Der sumerischen Hochkultur ist allerdings nach knapp 150 0-jähriger Blüte ein vergleichsweise abruptes Ende beschieden: Mit einem Mal erweist sich die bis dato meist friedliche Koexistenz der
mesopotamischen Stadtstaaten als Systemschwäche, öffnen aufbrechende Rivalitäten zwischen den göttergleich verehrten Monarchen
kriegerischen Interventionen von außen den Raum. So geschehen im Jahr 2371 vor Christus, als der akkadische König Sargon handstreichartig
sämtliche sumerische Stadtstaaten erobert und zu einem Reich zusammenschließt. Wo bis dahin kulturelle Vielfalt herrschte,
bedingen nun Unterdrückung und zentrale Machtausübung einen fast 500 Jahre währenden kulturellen Stillstand, bis sich am Ende ein paar hundert Kilometer nördlich von Ur und Uruk eine neue Hauptstadtkultur
erhebt, die sich nicht nur als prägend für den gesamten kleinasiatischen Raum, sondern auch als die Wiege aller späteren mediterran-europäischen
Hochkulturen erweisen soll: Babylon.
Maßgeblich für den endgültigen Aufstieg jener rund neunzig Kilometer südlich der heutigen irakischen Hauptstadt Bagdad gelegenen
antiken Metropole ist die Machtübernahme im Jahr 1792 vor Christus durch den sechsten König seit Erhebung Babylons zur Stadtmonarchie,
Hammurapi – übersetzt etwa: »Väterliches Familienoberhaupt«. Als solches mag sich Hammurapi wohl in der Tat verstanden haben.
So wehrt er bis zu seinem Tod im Jahr 1750 vor Christus nicht nur allfällige Bedrohungen von außen ab, sondern beschert seinen
Landeskindern im Inneren – neben einer jährlichen Ereignischronik und anderen kulturellen Neuerungen – eine 282 Paragraphen umfassende Rechtsordnungsowie ein an den Mondphasen orientiertes Kalendersystem, das den 7., 14., 21. und 28. Kalendertag eines jeden Monats als »Schabattu« festschreibt, an dem jegliche Arbeit zu unterbleiben hat. Doch ähnlich wie
dieses »modern« anmutende Gesetzeswerk
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