Siebenschön
beidenstand ernsthaft zu befürchten, dass die Begegnung mit Mord und Totschlag endete. Andererseits gehörte Gloria Mantovani nun einmal zur Familie, und Familie war ein Schicksal, das man hinnehmen musste. Em schüttelte den Kopf. »Na, dann wird’s Heiligabend ja zumindest nicht langweilig.«
»Wie meinst du das?«, fragte Giulia Capelli spitz.
»Vergiss es«, sagte Em. Und bevor ihre Mutter noch auf die Idee kam, ihre aufgestauten Emotionen an ihr auszulassen, lenkte sie das Gespräch schnell wieder auf ihre ungeliebte Tante zurück: »Wann kommen sie denn an?«
»Am einundzwanzigsten spätabends«, antwortete Giulia, »weil natürlich schon sämtliche Züge überbucht sind und sie nur noch irgend so eine entsetzliche Verbindung bekommen haben, bei der sie dreihundertmal umsteigen müssen …«
Gott, dachte Em, was bin ich froh, dass diese Familie nicht zu Übertreibungen neigt!
»Aber du weißt ja, wie sehr Onkel Ernesto das Fliegen hasst.« Ihre Mutter kam gerade erst in Schwung. »Und sie bringt ihn einfach nicht dazu, sich zu überwinden. Also, wie man auf diese Art und Weise im heutigen Geschäftsleben bestehen kann, ist mir ein Rätsel. Aber nach allem, was man so hört, läuft die Fabrik ja auch nicht mehr so wie früher, auch wenn Gloria das natürlich niemals zugeben würde.« Sie lachte garstig. »Jedenfalls muss Papa die beiden quasi mitten in der Nacht vom Bahnhof abholen, der Ärmste. Und Andrea und Bernardo kommen dann am Tag vor Heiligabend mit dem Flieger nach.«
»Was ist mit Lidia?«
»Lidia?« Giulia Capelli stieß ein verächtliches Zischen aus. »Nun … die hat sich natürlich mal wieder nicht herabgelassen. Angeblich muss sie über die Feiertage arbeiten …«
Kluges Mädchen, dachte Em, die ihre acht Jahre ältere Cousine von klein auf bewundert hatte.
»Aber so war sie ja schon immer«, schimpfte derweil ihre Mutter. »Wild, eigenwillig und obendrein ohne jeden Familiensinn.«
»Das finde ich nicht«, widersprach Em und dachte an das Begräbnis ihrer geliebten Großmutter. Lidia hatte ihr diesen schlimmen Tag entscheidend erleichtert, indem sie einen ganzen Nachmittag lang mit ihr Federball gespielt und dabei einen Witz nach dem anderen erzählt hatte.
»Pah«, machte ihre Mutter, und auch dieses Mal war die Botschaft trotz ihrer Knappheit unmissverständlich: Was verstehst ausgerechnet du von Familie?!
Em seufzte und griff nach einem Computerausdruck, den Gehling ihr hinstreckte. Sie warf einen Blick auf das Dokument und flüsterte: »Ich sehe mir das gleich an.«
»Wo bist du?«, fragte ihre Mutter.
»Auf der Arbeit.«
»Aber es ist spät am Abend …«
Em sparte sich einen Hinweis darauf, dass Verbrechen sich höchst selten an Bürozeiten hielten, und sagte einfach nur »Ja«.
»Na, wie auch immer«, fuhr ihre Mutter mit ungebremster Mitteilungsfreude fort. »Ich wollte dich bitten, dass du morgen oder übermorgen mal mit mir zur Metro fährst. Ich brauche ganz dringend einen neuen Schnellkochtopf. Und natürlich auch Fleisch. Gott weiß, was diese Burschen über die paar Tage wieder alles weghauen werden.« Sie lachte. Eine Mischung aus mütterlicher Nachsicht und dem unbezahlbaren Gefühl, gebraucht zu werden.
»Tut mir leid, aber das sieht im Augenblick ziemlich schlecht aus«, sagte Em, wohl wissend, was sie mit diesem Bekenntnis auslösen würde.
»Wieso?«
»Weil wir hier im Präsidium derzeit alle Sonderschichten fahren.« Sie nahm das Handy auf die andere Seite und rieb sich das Ohr. »Wir haben da einen Fall, der uns ziemlich in Atem hält, und …«
»Aber du weißt doch, was man bekommt, wenn man mit dem Fleisch zu lange wartet«, fuhr ihre Mutter auf. »Gerade vor solchen Feiertagen. Und ich werde auf gar keinen Fall riskieren,dass deine Tante Gloria jemals wieder einen Grund hat zu behaupten, ein Braten, den ich zubereitet habe, sei zäh.«
Deine Tante Gloria …
Em schüttelte den Kopf. Wann immer unliebsame Verwandte an sie weitergereicht wurden, war Gefahr im Verzug. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass die Braten-Geschichte bereits sechsunddreißig Jahre zurücklag.
»Kann Angelo dich nicht begleiten?«, schlug sie vor. Immerhin verfügte ihr Bruder in seiner Rolle als Pausenclown in der Eventagentur seiner Frau über entschieden mehr Tagesfreizeit als sie.
»Angelo?« Ihre Mutter klang, als habe Em gerade den Papst der Vielweiberei bezichtigt.
»Ja, Angelo.« Mein stinkfauler, Porsche fahrender Bruder Angelo.
»Aber, Emilia.
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