Siebenschön
winziger Funke hätte genügt, um die angestauten Emotionen zur Explosion zu bringen.
»Also noch mal von vorne«, rief Capelli, indem sie neben Kendrich trat und ihre Fäuste links und rechts von ihm auf die Stuhllehnen stemmte. Eine wohl kalkulierte Verletzung seiner Individualdistanz. »Was ist in den Tagen seit Sarahs Entlassung wirklich vorgefallen?«
»Nichts.« Kendrichs Stimme war brüchig wie Pergament. »Ich … wir haben uns kaum gesehen.«
»Verarschen kann ich mich alleine!«, flüsterte Capelli dicht an seinem Ohr. »Aber weil ich so ein gutmütiger Mensch bin, versuch ich’s einfach noch mal mit einer Erklärung: Irgendwo da draußen …« Ihr rechter Arm vollführte eine weitschweifige Geste, und Zhou hatte das dringende Gefühl, dass ihre Partnerin es genoss, Kendrich bei jeder ihrer Bewegungen zusammenzuckenzu sehen. »Also irgendwo dort draußen läuft ein Kerl rum, der es auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn Leute, die irgendwen getötet haben, ungeschoren davonkommen.«
»Sarah hat niemandem was getan!«, jaulte Kendrich.
»Und Ihre Freundin würde ganz sicher wollen«, fuhr Em unbeeindruckt fort, »dass Sie alles tun, um uns bei der Ergreifung dieses Kerls zu unterstützen.«
»Das mache ich ja.« Der Schweißfilm auf seiner Stirn wirkte mehr als ungesund. »Das mache ich.«
»Fein.« Ihr Ton war zuckersüß. »Dann gehen wir’s also noch mal in aller Ruhe durch: Wann haben Sie Ihre Freundin zum letzten Mal gesehen?«
»Das habe ich Ihnen doch nun schon …«
»Dann sagen Sie’s noch mal«, unterbrach sie ihn. Und im gleichen zuckersüßen Ton wie zuvor fügte sie hinzu: »Bitte.«
Er stöhnte. »Vergangenen Samstag.«
»Wo?«
»Im Motel One. Wir haben dort übernachtet.«
»Wo Ihnen eine ganze Villa zur Verfügung stand?«
»Das habe ich Ihnen doch alles schon erklärt.« Er wischte sich mit dem Ärmel über Stirn und Wangen, doch sofort bildeten sich neue Schweißperlen. »Sarah und ich … Wir sind uns nähergekommen durch diese Sache. Den Prozess, meine ich. Und wir … Na ja, wir wollten einfach mal in Ruhe reden.«
Reden ist gut!, dachte Zhou. Aber sie verstand allmählich die Zusammenhänge. Ich hätte es an Sarah Kindles Stelle auch vermieden, ihn in mein Haus einzuladen, dachte sie. Wäre bestimmt nicht günstig, wenn die Nachbarn morgens ausgerechnet den Mann aus meiner Tür treten sehen, der mir zu meinem äußerst wackligen Alibi verholfen hat …
»Hatten Sie eine intime Beziehung zu Sarah?«
Kendrich wand sich unter Capellis Blick.
»Antworten Sie mir!«
»Nein. Das heißt … ja. Aber erst seit ihrer Entlassung.«
Wer’s glaubt, wird selig, las Zhou in dem Blick, den Capelli ihr zuwarf.
Dann wandte ihre Partnerin sich wieder Sarah Kindles Liebhaber zu. »Glauben Sie mir, Ihr geringstes Problem besteht im Augenblick darin, dass jemand Sie wegen Komplizenschaft bei der Ermordung von Eberhard Kindle drankriegt.«
»Damit habe ich auch nichts zu tun!«, schrie Kendrich mit hochrotem Kopf.
Er lügt, urteilte Zhou, die seine Körpersprache analysierte. Er lügt, und es ist seine Natur, immer zuerst sich selbst aus der Schusslinie zu bringen.
»Und Sarah auch nicht«, setzte er in diesem Augenblick hinzu.
»Sie denken immer zuerst an sich, was?«, stichelte Capelli, die offenbar die gleichen Schlüsse gezogen hatte.
»Was?«
Ein spöttisches Lachen. »Vergessen Sie’s. Also, Sarah und Sie haben sich am Morgen des siebzehnten November auf dem Parkplatz vor dem Motel getrennt.«
»Genau.«
»Und dann?«
»Sie wollte nach Hause. Ausmisten und all das. Sie hatte vor, das Haus so schnell wie möglich zu verkaufen. Es …« Er schluckte krampfhaft. »Es hingen einfach zu viele Erinnerungen dran, verstehen Sie?«
Ganz bestimmt, dachte Zhou, während ihre Augen an Kendrichs Händen hängen blieben, die reichlich verkrampft um einen Becher Automatenkaffee lagen. Dieser junge Mann war die klassische Niete: faul, opportunistisch, egozentrisch. Wenn er wirklich Sarah Kindles Komplize gewesen ist …, überlegte sie. Ich an ihrer Stelle hätte mich so schnell wie nur irgend möglich von ihm getrennt. Aber das war vermutlich gar nicht so einfach gewesen.
»Herrgott, jetzt lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«, brauste ihr gegenüber Capelli auf. »Sie habensich getrennt, Ihre Freundin ist nach Hause gefahren, um aufzuräumen … Und dann?«
»Ich habe sie noch mal angerufen.«
»Wann?«
»Mittags, glaube ich. Ich wollte sie sehen,
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