Siebenschön
Freispruch.«
»Aus Mangel an Beweisen.«
»Dieser Kerl tötet Mörder?« Dr. Bechstein war fassungslos.
»Sieht ganz so aus.«
»Ach du Scheiße.« Die Pathologin blickte auf die Leiche hinunter, als erfordere dieser unerwartete Aspekt eine neuerliche Analyse der Gegebenheiten. »Hatten Sie mit dem Prozess zu tun?«
»Ich?« Em schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Nicht direkt zumindest.«
Dr. Bechstein hütete sich, sie in einer Situation wie dieser auch noch mit Fragen zu belästigen, doch Em spürte, dass sie mehr wissen wollte. »Ich hatte Dienst, als damals die Meldung reinkam, dass sich ein Geschäftsmann aus Bergen-Enkheim aus Erschütterung über seine Krebsdiagnose eine Kugel in den Kopf gejagt habe«, erklärte sie. »Also fuhr ich hin und traf auf seine Ehefrau, die mir von seinen Depressionen erzählte.«
»Sarah Kindle?«
»Genau.« Ems Augen streiften das aufgedunsene Gesicht unter dem kahl rasierten Schädel. Kein Zweifel, Sarah Kindle hatte gelitten, bevor sie gestorben war. »Im Laufe der Ermittlungen stellte sich allerdings heraus, dass Kindle mitnichten so niedergeschmettert war, wie seine Frau uns glauben machen wollte«, setzte sie ihren Bericht fort. »Im Gegenteil: Er hatte bereits einen zweiten Arzt konsultiert. Einen Spezialisten vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.«
Dr. Bechstein zog die Stirn in Falten. »Und wieso wusste seine Frau nichts davon?«
»Tja«, entgegnete Em. »Offenbar hat er ihr nicht vertraut. Oder Sarah Kindle hat gelogen und gab nur vor, nichts davon zu wissen.« Ihre Augen klebten noch immer an der Glatze der Toten. »Oder aber die beiden hatten so wenig miteinander zu schaffen, dass er es nicht für nötig hielt, sie über seine Pläne zu informieren.«
Warum lebt man dann überhaupt mit jemandem zusammen? , las sie in den Augen der Pathologin.
»Aber man konnte ihr nichts beweisen?«
»Ihr Alibi war ziemlich dürftig.« Em zuckte die Achseln. »Nicht ein einziger Besucher oder Mitarbeiter des Kinos, in dem sie angeblich zur Tatzeit war, erinnerte sich an sie. Also war die Aussage ihres Freundes das Einzige, auf das sich ihr Verteidiger stützen konnte. Gleichwohl ist es der Staatsanwaltschaft auch nicht gelungen, ihre Version zu widerlegen.«
Dr. Bechstein verzog ihre schmalen Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Was für eine Art Freund war denn das?«
»Böse Zungen behaupteten, dass er ihr Liebhaber war. Doch auch eine Affäre konnte man den beiden nie nachweisen.«
»Selbst gestern, als er die Vermisstenanzeige aufgab, hat er steif und fest behauptet, nur ein guter Bekannter von Sarah zu sein«, ergänzte Zhou.
»Wer’s glaubt …«, murmelte Dr. Bechstein.
Zhou sah auf die Uhr. »Dann sollten wir den Herrn vielleicht mal aus dem Bett holen.«
Em bedachte Sarah Kindles Leiche mit einem letzten entschlossenen Blick. »Worauf Sie sich verlassen können.«
3
Zhou hatte schon viele Menschen gesehen, denen schlimme Nachrichten überbracht worden waren. Doch sie hatte selten einen so echten und tief gehenden Schockzustand erlebt wie bei Manuel Kendrich.
Die Nachricht vom gewaltsamen Tod seiner Freundin hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weggezogen. Jetzt saß er mit zwei tellergroßen Schweißflecken unter den Armen und einer frisch genähten Platzwunde amHinterkopf in einem Vernehmungszimmer der Abteilung und schaute mit angstleerem Blick auf die Tischkante vor sich.
»Geben Sie ihm irgendwas, damit er uns Rede und Antwort stehen kann«, hatte Capelli die Notärztin aufgefordert. »Und bevor Sie mir jetzt erklären, dass Sie das nicht können, lassen Sie mich Ihnen versichern, dass es mich einen Scheißdreck interessiert, was das mit ihm macht, okay?«
Die Ärztin hatte Missbilligung geäußert. Aber sie hatte sich gefügt. Diese besonderen Umstände ließen wenig Raum für Rücksichtnahme oder gar Fairness. Und das war allen Beteiligten klar. Mit den Worten »Auf Ihre Verantwortung« hatte die Medizinerin ihre Unterschrift unter das Notversorgungsprotokoll gesetzt.
Und Em hatte müde abgewinkt und geantwortet: »Ja, na klar. Was denn sonst!«
Jetzt saßen sie zu dritt vor einer Wand verspiegelter Scheiben, und Zhou fragte sich im Stillen, um wen sie sich größere Sorgen machen musste. Um den angeschlagenen Zeugen auf der anderen Seite des Tisches, der aussah, als ob er gleich wieder in Ohnmacht fallen würde. Oder um ihre Partnerin, die kurz davor war, an die Decke zu gehen. Ein
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