Siebenschön
es. Allerdings war er nicht wichtig. Genauso wenig wie Kathrin …
Natürlich bestellten wir gleich zu Beginn die Mutter ein. Aber es war mehr als offensichtlich, dass sie nicht die geringste Rolle spielte. Ihr Sohn drehte nicht einmal den Kopf, als sie den Raum betrat. Der Vater ist Alkoholiker und früher, als er noch nicht so kaputt war, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schläger gewesen. Aber das war lange vor Milans Geburt. Er hat die Entwicklung seines Sohnes nicht geprägt und hatte auch keinen Anteil an dessen Erziehung.
»Darf ich fragen, wann Sie Marius Norén zuletzt gesehen haben?«, wandte Zhou sich wieder an ihr Gegenüber.
»Kurz nach Marthas Tod. Da hat er ein paar Sachen geholt. Hätte ihn fast nicht erkannt.«
Zhou hob erstaunt den Kopf. »Wieso?«
»Na, weil er sich total umgestylt hatte. War ’n ganz anderer Typ geworden.«
Interessant, dachte Zhou. »Wissen Sie zufällig, was er von Beruf ist?«
Rosalie Hendgen lachte laut auf. »Ich hab Martha mal gefragt, was er eigentlich macht. Na ja … wie man eben so fragt. Aber sie ging sofort an die Decke und fauchte, das ginge mich nichts an.« Ein wissender Blick. Dann die Frage: »Er hat was ausgefressen, oder?«
Zhou konnte nicht umhin zu lächeln. »Noch wissen wir das nicht genau.«
Rosalie Hendgen nickte. »Würde mich jedenfalls nicht wundern«, sagte sie. »Ich bin ziemlich hart im Nehmen, schon berufsbedingt. Aber dieser Junge …« Sie schüttelte sich. »Da war irgendwas an ihm, das mir noch heute Gänsehaut macht.«
»Darf ich Ihnen ein Foto zeigen?«, folgte Zhou einer spontanen Eingebung.
»Klar.«
Sie holte ihr iPhone heraus und rief das Foto von Jan Persson auf. Dann drehte sie das Gerät so, dass Rosalie Hendgen es sehen konnte.
Die Antwort kam schnell und ohne jeden Zweifel. »Kenn ich nicht.«
Wie zu erwarten war …
Zhou wechselte zum nächsten Bild. Die Aufnahme aus der Überwachungskamera des Motels. »Leider ist die Qualität miserabel.«
Rosalie Hendgen kniff die Augen zusammen und ließ sich viel Zeit. Dann nickte sie langsam und nachdenklich vor sich hin. »Es wäre möglich«, sagte sie. »Allerdings, man kann sein Gesicht ja fast gar nicht erkennen.«
Leider, dachte Zhou resigniert. »Haben Sie Marius Norén vielleicht irgendwann mal in Begleitung gesehen? Mit einer Freundin vielleicht? Oder einem Freund?«
»Nein, nie«, antwortete sie. »Ich weiß, dass mal irgendwer behauptet hat, er hätte eine Freundin, die beim Theater ist. Keine Schauspielerin oder so, eher was mit Kostümen oder Requisiten oder so. Aber das habe ich nie geglaubt. Dieser Junge war derklassische Einzelgänger. Auch wenn er sehr charmant sein konnte, wenn er was haben wollte.«
Gedankenverloren steckte Zhou ihr iPhone wieder ein. Marius Noréns angebliche Freundin war beim Theater. Und Sarah Kindles Leiche war in einen Mantel gehüllt, der zu einem Kostüm gehörte …
»Tut mir leid, dass ich Ihnen so wenig helfen konnte«, sagte Rosalie Hendgen, als sie sich an der Tür verabschiedeten.
»Nicht zu ändern«, entgegnete Zhou. »Trotzdem danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
»Ach was, keine Ursache.« Und noch einmal dieses verschmitzte Lächeln: »Viel Glück, Kindchen. Und denken Sie dran: Manchmal ist es von Vorteil, wenn die anderen einen nicht für voll nehmen …«
2
Em glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Sie stand zusammen mit Ergün Khalaf in einer Lagerbox, die laut Information des Anbieters dreißig Quadratmeter maß. Allerdings war sie derart mit alten Möbeln und Gerümpel vollgestopft, dass der Raum eine fast schon klaustrophobische Enge ausstrahlte.
Die Firma nannte sich Selfstorage Piontek und betrieb Lagerhäuser in mehreren deutschen und niederländischen Großstädten, in denen sie Container für Privat- und Geschäftskunden bereitstellte. Der Hauptsitz des Unternehmens lag in Berlin. Von dort aus schimpfte der Geschäftsführer telefonisch auf einen Angestellten seines Wachdienstes ein, der mit dem Handy am Ohr und hochrotem Kopf vor der Absperrung stand und verzweifelt versuchte, zu Wort zu kommen.
Die Box mit der Nummer 03 441 war laut Unterlagen vor ziemlich genau einem Jahr von einem Mann namens MarkusBeyerlein angemietet worden und lag in der mittleren der drei Lagerhallen, die sich auf dem Gelände befanden. Kunden, die hier Lagerfläche gemietet hatten, konnten mit dem eigenen Auto oder Transporter bis direkt vor den Eingang ihrer jeweiligen Box fahren und auch während der Einlagerung
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