Siebenschön
Köpfe. Als das Handy gleich darauf erneut klingelte, rechnete sie fest damit, dass Angelo das letzte Wort behalten wollte. Doch es war Gehling, der anrief.
»Wo bist du?«, fragte er.
»In Sarah Kindles Haus, wieso?«
»Ich habe die Liste der Objekte, die du wolltest.«
»Du meinst die Brauereien?«
»Genau.«
»Und? Irgendwas dabei, was infrage käme?«
»Schwierig. Alles, was noch in Betrieb ist, fällt vermutlich aus.«
Da wäre ich nicht so sicher, dachte Em, indem sie sich das Kellerabteil ins Gedächtnis rief, in dem sie Tidorfs Leiche gefunden hatten.
»Aber ich bin im Archiv auf eine kleine Privatbrauerei gestoßen«, fuhr Gehling unterdessen fort. »Die wird zwar schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr betrieben, war aber vor ein paar Jahren noch mal kurz in den Schlagzeilen, weil auf dem Gelände ein Kind in einen einsturzgefährdeten Gewölbekeller gefallen ist.«
»Existiert der noch?«
»Jein. Laut meinen Informationen wird auf dem Gelände derzeit gebaut.«
So wie überall in dieser verdammten Stadt, dachte Em düster. »Macht nichts, es ist vielleicht trotzdem eine Möglichkeit.«
»Soll ich jemanden hinschicken?«
»Nein. Noch nicht.« Sie dachte nach. »Er braucht den Ablageort erst nächsten Freitag. Wenn wir uns zu früh dort blicken lassen, vertreiben wir ihn.«
4
Als Zhou auf der B 54 war, begann es zu schneien. Dicke nasse Flocken, die ein böiger Westwind beinahe wütend vor sich hertrieb. Zhou schaltete die Scheibenwischer ein und dachte über die Informationen nach, die Capelli ihr über Funk durchgegeben hatte. Über Sarah Kindle. Den Prozess. Den Anwalt, der keiner war.
Fünf Opfer bislang, resümierte sie. Fünf Menschen, die getötet hatten und damit durchgekommen waren. Und auf der anderen Seite ein Mann, der sich ungerecht beurteilt fühlte. Doch woher bezog Marius Norén sein Wissen über seine Opfer? Fahrerfluchten, Abtreibungen oder gar erfolgreiche Morde waren schließlich nichts, mit dem man hausieren ging.
Dennoch hatte Marius Norén Bescheid gewusst. Er hatte gewusst, dass Lina Wöllner alles tun würde, damit ihr Mann nichts von der Sache mit ihrer Mutter erfuhr. Und er hatte auch gewusst, wann Sarah Kindle im Motel mit ihrem Liebhaber verabredet war. Er war offenbar ein Meister der Informationsbeschaffung. Aber selbst wenn er … Sie stutzte, als sich unvermittelt ein neuer Widerspruch in ihre Gedanken stahl. Was ist mit Jenny Dickinson?, durchfuhr es sie. Woher kannte er die Geschichte von Nurja, dem Schreikind, das im Gartenteich ertrunken war? Nicht einmal Westen wusste davon.
Klar habe ich es meinen Eltern erzählt, hörte sie Raya Hosseinis Stimme. Zwei oder drei Jahre danach …
So spät, hämmerte es hinter Zhous Stirn.
Ich war sechs Jahre alt, verteidigte sich die imaginäre Raya in ihrem Kopf. Mein Vater schrie mich an. Meine Mutter heulte die ganze Zeit …
Aber die Eltern waren tot. Abgestürzt über Teneriffa. Schon vor Jahren. Zhou merkte, wie ihre Hände vor Aufregung feucht wurden, während die Scheibenwischer des Ford, den man ihr für diese Fahrt zur Verfügung gestellt hatte, unablässig über dieFrontscheibe surrten. Sie konnten ihr Wissen um die wahre Täterin nicht mehr weitergeben. Also blieb die Frage: Wer wusste sonst noch davon?
In der Akte steht nichts von Mord …
Zhous Finger krallten sich um das Steuer, während hinter ihrer Stirn ein Erinnerungsfetzen den nächsten jagte.
Ich wusste immer, wo sie gerade war. Ich wollte sie im Auge behalten. Weil ich wissen wollte, wie sich ihr Leben entwickelt.
Zhou blickte auf die Uhr neben dem Tacho. Dann griff sie zum Funkgerät und gab in der Zentrale Bescheid, dass sie etwas später kommen werde.
Sie machte sich nicht viel Hoffnung, Raya Hosseini zu Hause anzutreffen. Schließlich war Samstagnachmittag. Vorweihnachtszeit obendrein. Doch sie hatte Glück: Die Psychologiestudentin öffnete die Tür, kaum dass das Bimmeln der Klingel verklungen war.
»Sie?«
»Ja«, antwortete Zhou lächelnd. »Ich.«
»Das heißt dann wohl, dass es was Neues gibt?«
»Leider nichts, das Jenny Dickinson oder den Tod Ihrer Schwester beträfe«, bemühte sich Zhou, erst gar keine Erwartungen zu wecken, die sie nicht halten konnte.
Zwischen Raya Hosseinis Augen erschien eine Falte, die sie von jetzt auf gleich um zehn Jahre altern ließ. »Kommen Sie rein.« Sie trat zur Seite und lotste Zhou in ein nüchtern, aber teuer eingerichtetes Wohnzimmer. »Mögen Sie was trinken?«
»Nein, danke.« Zhou setzte
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