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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Monster, auf dessen Schreibunterlage noch immer Hansens geliebte Star-Wars-Sticker klebten. »Was noch drin ist, braucht kein Mensch mehr, also packen Sie das am besten alles in einen schönen, großen Karton und schicken es ans Rote Kreuz oder an den Roten Drachen oder wohin auch immer es Ihnen beliebt. Die Damentoilette ist den Gang runter, letzte Tür rechts. Direkt daneben befindet sich der Umkleideraum, wo Sie mehr als genug leere Spinde finden, die Sie sich zurechtmachen können. Die Schlüssel sollten eigentlich stecken. Falls nicht, müssen Sie sich an den Hausmeister wenden.« Sie hielt kurz inne, aber nur, um Luft zu holen. »Wenn Sie mit dem eigenen Auto zum Dienst kommen möchten, haben Sie in der Zeit zwischen ein Uhr nachts und vier Uhr früh die größten Chancen auf einen passablen Parkplatz. Es sei denn, Sie stehen auf weite Spaziergänge oder Parklücken, bei denen Sie die spannende Wahl zwischen Schramme rechts und Schramme links haben. Und das auch nur, falls Sie fahren können. Die obligat schreckliche Weihnachtsfeier mitsämtlichen Reden und Selbstbeweihräucherungen findet alle Jahre wieder in dem großen Tagungsraum neben der Cafeteria statt. Oder besser: Dort findet der offizielle Teil statt. Aber wenn Sie klug sind, kommen Sie sowieso erst nach zehn ins Penny Lane. Das ist übrigens auch der Ort, wo Sie nach Dienstschluss am ehesten einen Bullen finden, falls sie einen brauchen sollten. Zum Reden oder Saufen oder wozu auch immer.« Sie warf ihrer neuen Partnerin einen herausfordernden Blick zu. »Noch irgendwelche Fragen?«
    Mai Zhou, die während Ems gesamter Rede keine Miene verzogen hatte, schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, es ist alles klar geworden.«
    »Fein.« Em schnappte ihr Handy und wandte sich zum Gehen. »Ach so, ja«, sagte sie, indem sie sich noch einmal kurz zu ihrer neuen Kollegin umdrehte. »Und herzlich willkommen.«
11
    Theo Dorn saß in seinem Büro und blickte auf eine Reihe winziger Zahnrädchen hinunter, ohne wirklich wahrzunehmen, was er sah. Doris hatte sich bereits vor Stunden fröhlich winkend in den Feierabend verabschiedet. Aber da er selbst keine Familie hatte, blieb er nach Ladenschluss oft noch eine Weile im Geschäft und erledigte all die Dinge, die in der Hektik des Alltags liegen geblieben waren.
    Das kleine Zimmer hinter dem Verkaufsraum, das ihm zugleich auch als Werkstatt diente, war annähernd quadratisch und hatte kein Fenster, ein Umstand, der ihn schon gestört hatte, als er noch jung und mutig gewesen war. Und je älter er wurde, desto weniger ertrug er die stickige Düsternis, die dem Raum seit je anhaftete. Er hatte sogar schon versucht, sich selbst auszutricksen, indem er mittels eines von hinten beleuchtetenAcrylglasbildes und ein paar Gardinen ein Fenster vortäuschte. Doch alles, was er mit dieser Aktion erreicht hatte, war, dass der Raum noch deprimierender wirkte.
    Muffig, dachte Dorn mit einem Anflug von Ekel. Dieses ganze Haus ist total marode.
    Er hatte das Gebäude von seinem Vater geerbt, der ebenfalls Uhrmachermeister gewesen war, und eigentlich roch es in diesen Räumen noch genau wie damals, als er als kleiner Junge zum ersten Mal an diesem Tisch gesessen und mit glühenden Wangen ein Modellboot zusammengebaut hatte.
    Puzzles hatte er von klein auf geliebt. Genau wie alle Arten von feiner Mechanik. Und noch immer empfand er eine tiefe innere Befriedigung, wenn sich ein winziges Teilchen zum anderen fügte und am Ende wie durch Zauberhand etwas Funktionierendes dabei herauskam. Für dieses Gefühl nahm er sogar die Enge seiner Bürowerkstatt gern in Kauf!
    An diesem Abend beschäftigte er sich mit einer französischen Kaminuhr aus dem neunzehnten Jahrhundert, deren Innenleben in unzählige Einzelteile zerlegt vor ihm ausgebreitet lag. Der Kunde wollte das gute Stück unbedingt noch in dieser Woche wiederhaben, obwohl sich – gemessen am Zustand der Teile – offenbar jahrzehntelang niemand darum gekümmert hatte. Aber so waren die Leute nun mal. Lebten und dachten immer in Extremen.
    Dorn rückte seine Brille zurecht und griff nach einem winzigen Schraubendreher. An seinem Bein fühlte er das Leder seiner Aktentasche, die er nun schon seit mehr als fünfunddreißig Jahren jeden Morgen packte und gleich nach seiner Ankunft im Laden unter den Schreibtisch stellte. Immer an dieselbe Stelle.
    Ob dieser Mensch mich deshalb ausgesucht hat?, überlegte er, während er sich eines der drei zierlichen Glöckchen aus Silberbronze

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