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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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so was.«
    Er drückte noch einmal an seinem Autoschlüssel herum, um sicherzugehen, dass die Zentralverriegelung aktiviert war. Dann stapfte er mit entschlossenen Schritten auf die düstere Mauer zu.
    Christina folgte ihm.
    Als sie durch das rostzerfressene Tor traten und das Licht der Straßenlaternen hinter ihnen zurückblieb, schlug ihr Herz spürbar schneller. Doch sie gab sich alle Mühe, ihre Furcht zu verbergen. Das sind ganz normale Urängste, beruhigte sie sich. Frauen und Dunkelheit. Frauen und verlassene Gebäude. Alles völlig normal.
    Michael suchte unterdessen das schummrige Dämmerlicht zu seinen Füßen nach versteckten Unebenheiten ab. »Komm hier lang«, rief er, indem er ihr fürsorglich die Hand entgegenstreckte. »Bringen wir’s hinter uns!«
    Hand in Hand überquerten sie einen sandigen Innenhof. Und allmählich gewöhnten sich Christinas Sinne an die Dunkelheit: Sie konnte besser sehen. Gesprungene Platten aus Waschbeton, zwischen denen sich bereits vor langer Zeit das Unkraut breitgemacht hatte. Eine leere Plastikverpackung, die eine leichte Brise hüpfend und raschelnd vor sich hertrieb. Ein paar flache Schrotthaufen. Verrottendes Laub. Im Dunkel rechts von sich entdeckte sie ein paar rostige Container. Daneben lehnten Säcke mit Sand und Mörtel an der Wand.
    »Da drüben ist der Eingang.« Ihr Mann zerrte seine Stabtaschenlampe aus der Jackentasche und richtete den Strahl auf eine zerborstene Glastür.
    Seltsamerweise vermittelte die plötzliche Helligkeit ihr ganz und gar kein Gefühl der Beruhigung. Im Gegenteil. Sie fühlte sich ausgeliefert. So, wie wir hier stehen, geben wir ein erstklassiges Ziel ab, dachte sie schaudernd.
    »Das scheint wohl eine Art Bürotrakt zu sein«, riss Michael sie aus ihren Überlegungen, und obwohl er sehr leise sprach, kam ihr seine vertraute Stimme in diesem Augenblick überlaut vor. »Siehst du?«
    Das Licht der Lampe glitt über die scherbenbedeckte Schwelle ins Innere des Gebäudes. Christina sah einen staubigen Flur, von dem nach links und rechts mehrere Türen abzweigten. Der Rest lag im Dunkeln.
    »Oh Mann, riechst du das?« Michael rümpfte angewidert die Nase. »Pisse und Ratten. Nicht gerade ein passender Ort für unsere englische Lady.«
    Christina wusste, es war nur ein Scherz, um sie aufzuheitern. Pflichtschuldig rang sie sich ein Lächeln ab.
    ihr Name ist jennifer …
    Ihr Mann war bereits einen Schritt weiter. Unter den Sohlen seiner Sneakers knirschte zerbrochenes Glas, als er nacheinander an sämtliche Türen trat. »Also, hier ist definitiv nichts, was noch irgendeinen Wert hätte«, konstatierte er, indem er die Taschenlampe wieder auf den Flur richtete. »Alles geplündert oder zerstört.«
    Christina nickte stumm. Im unsteten Licht der Taschenlampe manifestierte sich ein brüchiger Betonboden. Die Luft war hier im Inneren des Gebäudes unangenehm feucht und roch nach Schimmel und Staub. Außerhalb des Lichtkegels, dort, wo es ganz dunkel war, huschte etwas. Mäuse vermutlich. Oder Ratten. Sie verzog angeekelt das Gesicht, auch wenn sie Ratten unter den gegebenen Umständen noch als das mit Abstand kleinste Übel empfand.
    »Hallo!«, rief Michael dicht neben ihr und erschreckte sie damit fast zu Tode. »Ist hier jemand?«
    Sie lauschten einträchtig, doch niemand antwortete.
    Von fern drang Verkehrslärm an ihre Ohren. Autos. Dazu das Geräusch eines Fliegers im Landeanflug. Sonst nichts.
    »Hallo?«, versuchte es Michael noch einmal. Und nach kurzem Zögern: »Jennifer? Sind Sie hier?«
    Als ob wir sie kennen würden, dachte Christina. Als ob sie zu uns gehörte. Eine verlorene Bekannte.
    »Da ist niemand«, brummte ihr Mann, und sie konnte deutlich die Erleichterung in seiner Stimme hören.
    »Stimmt«, flüsterte sie an seinem Arm. »Wenn sie hier wäre, hätte sie längst geantwortet.«
    »Also doch nur ein dummer Scherz«, erwiderte er.
    Sie nickte. »Ja, ein Scherz. Können wir jetzt gehen, bitte?«
    »Na klar.« Er tätschelte beruhigend ihren Arm. Doch dann stutzte er plötzlich. »Hey!«
    »Was ist?«
    »Was ist das da drüben?«
    »Was meinst du?«
    Anstelle einer Antwort richtete er den Strahl seiner Lampe auf eine halb geschlossene Stahltür am Ende des Flurs, die ihnen bislang entgangen war. »Lass uns dort noch kurz nachsehen«, sagte er, und für einen flüchtigen Augenblick hatte Christina das Gefühl, als ob sein Arm zitterte. »Nur um ganz sicherzugehen.«
    »Gut«, flüsterte sie tapfer zurück. Zugleich musste sie

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