Siebenschön
über sich selbst lachen. Warum flüsterst du? Falls der Typ, der die Karte geschrieben hat, hier ist, hat er euch längst gehört. Er weiß, dass ihr da seid. Vielleicht hat er euch sogar erwartet …
Der Gedanke lähmte sie. Von einer Sekunde zur anderen hatte sie das Gefühl, sich keinen Millimeter mehr rühren zu können. Als ob eine fremde Macht einen geheimnisvollen Bann über sie gesprochen hätte.
Erst Michaels vertraute Stimme löste die Blockade. »Wo bleibst du denn?«, rief er über die Schulter.
»Ich komm schon.«
Ihre Knie waren wie Pudding, als sie zu ihrem Mann aufschloss und vorsichtig über seine Schulter blickte. Die Tür hattehandtellergroße Rostflecke, wirkte aber trotzdem befremdlich intakt. Michael drückte gegen einen der beiden Flügel, der mit einem leisen Knirschen nachgab. Dahinter öffnete sich eine imposante Lagerhalle, deren Ausmaße sich im Schein der Taschenlampe allenfalls erahnen ließen.
Christina schätzte die Raumhöhe auf mindestens sechs oder sieben Meter. In der Ecke neben der Tür stand ein ausgebeinter Opel Kadett. Der Lichtstrahl zuckte über zerschlissene Polsterreste, Kabel, Plastikscherben. Ansonsten war der Raum bis auf ein paar verstreute Schutthaufen genauso leer wie die Büros, die sich Michael zuvor angesehen hatte.
»Scheiße, guck dir das mal an!«
Christina fuhr herum. »Was?«
»Diese Spur hier. Sieht aus, als ob da jemand gekehrt hätte …«
Sie starrte auf den Boden. So absurd der Gedanke in einer derartigen Umgebung auch anmutete, ihr Mann schien tatsächlich recht zu haben: Mitten im zentimeterdicken Staub des Hallenbodens entdeckte sie eine rund einen Meter breite Spur. Wie eine Straße, die Kinder zum Spaß in den Staub gekritzelt hatten. Doch hier, das wusste Christina genau, waren keine Kinder am Werk gewesen. Dafür waren die Ränder viel zu akkurat gezogen. Und was sollten Kinder auch an einem Ort wie diesem zu suchen haben?
Der Pfad der Erleuchtung, hämmerte es hinter ihrer Stirn.
Folge dem Pfad der Erleuchtung, und er wird Dich ans Ziel führen. Allerdings solltest Du Dich lieber beeilen …
»Sieh mal da hinten! Ist das noch mal so was wie’n Büro oder so?«, fragte Michael neben ihr, und inzwischen flüsterte er auch.
Christina reckte den Hals. Auf der anderen Seite der Halle, dort, wo die Spur endete, schien sich ein nachträglich eingezogener, separater Raum zu befinden, dessen Wände jedoch nur bis zu einer normalen Zimmerhöhe aufragten. Vielleicht das Büro des Lagerleiters.
Die Eheleute tauschten einen Blick. Beide sahen ihre eigene Angst in den Augen des anderen. Ein dumpfes, elementares Unbehagen.Aber mittlerweile hatten beide auch ein Gefühl von Unabwendbarkeit. Als ob sie Puppen wären. Marionetten. Gelenkt von einer fremden Hand, die einen präzise ausgearbeiteten Plan verfolgte.
In stummem Einvernehmen gingen sie den Weg, den der unbekannte Briefeschreiber ihnen vorgezeichnet hatte, und mit jedem Schritt, den sie tat, hatte Christina das Gefühl, dass ihre Kehle enger wurde. Sie öffnete den Mund, um besser Luft zu bekommen. Aber es half nicht viel.
… ihr Name ist jennifer, falls es Dich interessiert …
Dich , wiederholte eine Stimme tief in ihrem Inneren. Nicht euch . Wer immer diese verdammte Karte geschrieben hat, wollte nicht Michael erreichen. Er hat sich an dich gewandt. An dich ganz allein.
Aber ich kenne keine Jennifer, protestierte Christina stumm. Ich kenne keine Jennifer, und ich bin auch nie zuvor in dieser Gegend gewesen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was dieser Mensch von mir will. Warum er mich ausgesucht hat. Ausgerechnet mich. Und wozu …
Michael, der ein paar Schritte vor ihr ging, hatte unterdessen die Tür des Verschlages erreicht. Bei näherer Betrachtung schien es sich um eine Art Aufenthaltsraum zu handeln, rund sechzig Quadratmeter groß.
Atemlos spähte Christina an ihrem Mann vorbei. Sie wusste selbst nicht genau, was sie erwartet hatte, doch als sie erkannte, dass der Raum so gut wie leer war, hätte sie am liebsten geschrien vor Erleichterung. Zwei Spindschränke und ein dreibeiniger Stuhl waren neben einer Teeküche aus billigem Sperrholz das Einzige, was von der Einrichtung übrig geblieben war. Das und eine ausladende Tiefkühltruhe an der rückwärtigen Wand.
»Sie ist nicht hier«, raunte sie, als sie bemerkte, wie sich die Nackenmuskeln ihres Mannes bei diesem Anblick verspannten. »Lass uns heimgehen.«
»Warte noch …«
»Michael, bitte!«, flehte sie, und sie
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