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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Glück.«
    Na, wenn das kein gutes Stichwort ist!, dachte Zhou.
    »Ich möchte dich auch gar nicht lange stören«, begann sie ein wenig sperrig. »Eigentlich wollte ich euch nur mitteilen, dass ich wieder herziehe.«
    Euch …
    »Du meinst, in die Stadt?«
    »Ja.«
    »Aha.«
    »Eine Wohnung habe ich schon«, berichtete sie eilig, bevor ihr Vater auf die Idee kam, dass sie wieder zu Hause wohnen könne. »Ein nettes kleines Apartment. Fünfundsiebzig Quadratmeter, am Westhafen.«
    Eine gute und teure Lage. Ihr Vater sagte keinen Ton, trotzdem wusste sie ganz genau, was er dachte. Du musst weit besser verdienen als früher, wenn du dir so etwas leisten kannst. Und: Fünfundsiebzig Quadratmeter sind nicht klein …
    Sie rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Es ist ein sehr schönes Haus. Neubau. Alles sehr offen und stylish. Und von meinem Balkon aus hat man einen traumhaften Blick auf die Mole.«
    Ihr Vater nickte. »Das heißt, du hast eine andere Arbeit?«
    »Eine neue Abteilung, ja.«
    Sie hoffte inständig, dass er von sich aus fragen würde, aber Ya Dao dachte gar nicht daran, seiner Tochter derart weit entgegenzukommen. Stattdessen sagte er: »Wenn es dich glücklich macht.«
    »Das kann ich noch nicht beurteilen«, antwortete Zhou mit der wohl kalkulierten Zurückhaltung, die sie von ihm gelernt hatte. »Aber ich habe zumindest das Gefühl, dass ich das Richtige tue.«
    »Das hast du über das Ballett auch gesagt«, wandte Ya Dao in vollkommen wertfreiem Ton ein.
    »Damals war ich fünfzehn, Vater.«
    »Ist es klug, seine Wurzeln zu vergessen?«
    Zhou war sofort klar, dass er nicht das Ballett meinte, und sie entschied sich kurzerhand für einen Frontalangriff: »Von welchen Wurzeln sprechen wir hier?«
    Ya Daos Miene verriet, dass er ihren herausfordernden Ton missbilligte. Aber auch dieses Mal enthielt er sich jeden Kommentars. Etwas, das Zhou nur noch mehr aufbrachte. So knallhart und kompromisslos ihr Vater sich im Geschäftsleben auch verhalten mochte, so konsequent ordnete er seine Reaktionen im Privaten dem Prinzip einer fast schon manischen Harmoniesucht unter. Die Folge war, dass er Gefühle praktisch nie direkt äußerte. Ebenso wenig wie politische oder gesellschaftliche Ansichten. Stattdessen wählte er fast immer den Umweg über eine Metapher oder ein Zitat, wobei er Schiller und Kant ebenso häufig und gern bemühte wie Laotse oder Konfuzius.
    Zhou hatte sich oft gefragt, wie viel von dem, was ihr Vater sagte und tat, auf Erziehung beruhte. Auf Prägung und Vernunft. Und was für ihn – unterm Strich betrachtet – wirklich zählte. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass er tief in seinem Inneren genauso zerrissen war wie sie selbst.
    »Es tut mir leid, Vater«, fügte sie etwas versöhnlicher hinzu, »aber ich kann hier beim besten Willen nicht viel Chinesisches entdecken.«
    »Kultur ist keine Frage der Einrichtung, sondern des Herzens.«
    Na, toll!
    »Polizeiarbeit ist das, was ich machen möchte«, insistierte sie trotzig.
    Die schwarzen Augen ihres Vaters ruhten mit unerschütterlicher Souveränität auf ihrem Gesicht. Ya Dao hatte einen Blick, den Zhou schon immer als einschüchternd empfunden hatte. Trotz aller aufrichtigen Zuneigung, die sie ihrem Vater entgegenbrachte. Und natürlich bemerkte er sehr wohl, dass seine Musterung ihr Unbehagen bereitete. Aber er dachte gar nicht daran, sie zu schonen. Im Gegenteil: Während ihr das Blut indie Wangen schoss, schien sich die Intensität seines Blicks noch zu verstärken.
    Als ob er mich hypnotisieren will, dachte Zhou mit einem neuerlichen Anflug von Wut. »Aber erzähl doch mal von dir«, sagte sie, um ihn abzulenken. »Wie geht es deinem Herzen?«
    Kaum dass der Satz heraus war, wurde ihr die unfreiwillige Doppeldeutigkeit ihrer Formulierung bewusst. Und doch war die Frage keineswegs unberechtigt, denn ihr Vater hatte erst im vergangenen Jahr einen Herzinfarkt erlitten, in dessen Folge ihm mehrere Stents eingesetzt worden waren.
    »Zum Glück degradiert die moderne Heilkunst Beschwerden wie meine zu bedeutungslosen Randnotizen.«
    »Das beantwortet nicht meine Frage.«
    Um die Lippen ihres Vaters spielte ein Lächeln. »Es geht mir gut.«
    »Das freut mich«, entgegnete Zhou, und sie fand selbst, dass es schrecklich formell klang. Doch dieses Mal kam ihr das Klingeln des Telefons zu Hilfe.
    Ya Dao drehte nicht mal den Kopf.
    »Geh ruhig ran«, versicherte Zhou. »Ich muss sowieso wieder los. Ihr solltet nur wissen, wo ihr mich in Zukunft

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