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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Zhou bereits auf den Beinen. »Ich sehe mich mal um.«
    Em nickte, obwohl sie sich insgeheim über die Eigenmächtigkeit ihrer neuen Partnerin ärgerte. »Konnten Sie zufällig sehen, was auf der Karte stand?«, wandte sie sich zähneknirschend wieder an ihre Zeugin. »Einen Namen vielleicht? Oder die Adresse des Absenders?«
    Doris Senn verneinte. »Aber Herr Dorn war … Ich hatte das Gefühl, dass er …« Sie unterbrach sich und schüttelte trotzig den Kopf. Vielleicht weil ihr Mutmaßungen im Zusammenhang mit ihrem ermordeten Chef irgendwie anmaßend vorkamen.
    »Bitte«, drängte Em. »Es könnte wichtig sein.« Und nach einem kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Alles könnte wichtig sein.«
    »Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch«, sagte Doris Senn fest. Offenbar hatte sie eine Entscheidung getroffen. »Aber mir schien, dass Herr Dorn über die Karte irgendwie erleichtert war.«
    Das war so ziemlich das Letzte, was Em erwartet hatte. Überrascht zog sie die Brauen hoch.
    »Natürlich wollte ich damit nicht sagen, dass er sich über den Tod seines Freundes gefreut hat«, fuhr ihre Zeugin auf, die ihr Mienenspiel missdeutete.
    »Keine Sorge, ich verstehe das schon richtig«, beeilte sich Em, den falschen Eindruck zu korrigieren.
    Im selben Augenblick kehrte Zhou zurück. Sie hatte Latexhandschuhe übergestreift und hielt ihrer Kollegin eine handelsübliche Trauerkarte unter die Nase. »Das hier lag in Theo Dorns Postkorb.«
    Nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb heute mein geliebter Mann, unser lieber Vater, Bruder und Opa MARTIN KORRITKE im achtundfünfzigsten Lebensjahr , las Em neben dem obligatorischen rosenumrankten Kreuz.
    »Ja, genau, das ist sie«, befand Doris Senn, die interessiert den Hals reckte. »Das ist die Karte, die Herr Dorn gestern bekommen hat.«
    »Der Poststempel ist von vorgestern«, bestätigte Zhou. »Aufgegeben wurde die Karte in München. Und ich habe auch schon mit Gehling telefoniert. Herr Korritke ist tatsächlich Ende vergangener Woche verstorben.«
    Aber warum, um Himmels willen, hat Theo Dorn sich so über diese Nachricht gefreut?, überlegte Em. Doch kaum, dass sich die Frage in ihrem Kopf manifestiert hatte, fiel ihr auch schon die Lösung ein: Falsch, dachte sie, er hat sich gar nicht über die Nachricht selbst gefreut, sondern darüber, dass der handgeschriebene Umschlag nur eine vergleichsweise harmlose Botschaft enthielt. Die Nachricht vom Tod eines ehemaligen Klassenkameraden.
    Ihre Augen suchten den Umschlag, auf dem die sorgfältig von Hand geschriebene Adresse des Geschäfts prangte.
    Dorn hatte sich gefreut, weil er mit etwas anderem gerechnet hatte …
    Mit etwas Schlimmerem …
    »Sagen Sie«, wandte sie sich wieder ihrer Zeugin zu, »wissen Sie zufällig, ob Herr Dorn gestern auch noch andere Post erhalten hat?«
    Theo hat versagt …
    »Oh ja«, strahlte Doris Senn, offenbar heilfroh, dass sie helfen konnte. »Das weiß ich sogar genau, weil ich die Post selbst entgegengenommen habe.«
    Bingo!, dachte Em. Man muss ja auch mal Glück haben! »Und?«
    »Es waren genau sechs Briefe. Diese Trauerkarte«, Doris Senn zeigte auf den Umschlag in Zhous Hand. »Dazu drei Rechnungen und ein Schreiben vom Finanzamt. Und dann noch eine retournierte Mahnung an einen unserer Kunden. Aber damit warzu rechnen.« Ihre Hand hob sich zu einer wegwerfenden Geste. »Die Zahlungsmoral der Leute wird immer schlechter. Und leider versuchen viele, die Sache einfach auszusitzen.«
    Em schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln. »Wussten Sie eigentlich, dass Ihr Chef Jude war?«
    Doris Senn nickte. »Er hat das nie irgendwie rausgekehrt oder so. Aber er hat’s auch nicht versteckt.«
    »War er nur jüdischer Abstammung oder war er auch gläubig?«
    Die Frage schien die Angestellte in Verlegenheit zu bringen. Sie blickte zu Boden und begann, unruhig mit den Füßen zu scharren.
    »Ging er zum Beispiel regelmäßig in die Synagoge?«, versuchte Em, ihr auf die Sprünge zu helfen.
    Kopfschütteln. »Nein, ich glaube nicht. Aber er bekam hin und wieder Post von der jüdischen Gemeinde.«
    »Sie meinen so eine Art Gemeindeblättchen?«
    »Ja, genau. Die Gemeindezeitung. Viermal im Jahr, glaube ich.«
    »Hat Herr Dorn auch hin und wieder mal antisemitische Post bekommen?«, schaltete Zhou sich ein.
    Doris Senn schien überrascht. »Nein«, sagte sie. »Nicht dass ich wüsste.«
    Em nickte. »Haben Sie zufällig auch einen Schlüssel zur Privatwohnung Ihres Chefs?«
    »Ja, zu Hause«,

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