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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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dass irgendwo in ihrem Hals ein Wirbel krachte. Wo war er? Etwa da draußen? Hinterdem Glas? Zugleich fiel ihr ein, dass es vermutlich keine allzu gute Idee war, dem Mann am anderen Ende der Leitung nicht zuzuhören.
    »Ja, ich …« Sie wunderte sich selbst, wie dünn ihre Stimme mit einem Mal klang. »Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht besonders gut verstehen.«
    »Doch.« Das harmlose kleine Wort traf sie wie ein Peitschenhieb. »Kannst du. Aber du hast deine Nerven nicht im Griff.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ich möchte, dass du mir eine Frage beantwortest …«
    Christina hob die freie Hand an die Stirn. Schützend. Verwirrt. Von einer Sekunde zur anderen war sie klatschnass geschwitzt. Ihr Pullover klebte an ihrem Rücken. Zugleich war ihr unfassbar kalt.
    Er hat Michaels Handy.
    Das bedeutet, dass er hier gewesen ist. Hier drin. In meinem Haus.
    Das war er doch schon gestern, meldete sich ihr Verstand. Er hat seine blöde Karte nicht in den Briefkasten geworfen, sondern auf den Couchtisch gelegt. Zusammen mit der übrigen Post, die er zuvor aus dem Briefkasten genommen hat.
    Er war hier drin!
    »Bist du bereit?«
    »Ja.«
    »Gut. Also, Christina …« Er klang, als ob er lächelte. »Würdest du sagen, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Charakter, ein Grab verdient?«
    Die Frage war so ungeheuerlich, dass sie sich nicht zurückhalten konnte. »Was?«, entfuhr es ihr. »Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht …«
    »Einen Platz, an dem er ruhen darf. Oder das, was von ihm übrig ist.«
    Ihre Augen suchten wieder die finstere Fensterfront. Stand er dort, auf der anderen Seite der Scheiben? Konnte er sie sehen?
    »Ich weiß nicht«, stammelte sie. »Ich denke schon.«
    »Du denkst?«
    Langsam, um nur ja keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, rutschte sie nach vorn, an die Kante des Sofas. Es gab eine Fernbedienung für die Lichtanlage, doch die benutzte sie praktisch nie. Trotzdem sollte sie eigentlich irgendwo dort drüben auf dem Sideboard liegen. Oder?
    »Ich … Ich schätze, ich habe mir noch nie Gedanken über so was gemacht.« Sie brach ab und lauschte in die knisternde Stille. Auf Atemzüge. Einen Hinweis darauf, dass er ihr zuhörte. Doch da war nichts. Nichts außer dem Rauschen ihres eigenen Blutes.
    Handys verursachen Hirntumore, dachte sie völlig irrational.
    »Sind Sie noch dran?«
    Er antwortete nicht. Dann, nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, fragte er plötzlich: »Sag, würdest du ein solches Grab besuchen, Christina?«
    Aus den Augenwinkeln schielte sie nach dem Sideboard, während das Handy an ihrem Ohr immer heißer wurde. Als ob es explodieren wollte. »Ich …«
    »Würdest du?« Die Stimme war plötzlich scharf. Er verlor die Geduld, das war deutlich hörbar.
    »Wessen Grab?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen.
    »Das Grab eines Mörders.«
    »Ich glaube nicht.« Sie atmete tief durch und warf sich nach vorn, Richtung Sideboard. Ihre Finger bekamen die Fernbedienung zu fassen. Aber welcher war der richtige Knopf, verdammt?
    Mach jetzt bloß keinen Fehler!
    »Und was ist mit dir?«, flüsterte seine Stimme in ihr Ohr. »Hast du schon einmal jemanden umgebracht, Christina?«
    »Ich?« Sie hustete trocken, während ihre Augen über die Knöpfchen flogen. Die Beschriftungen konnte sie nicht lesen. Nicht in diesem Licht und auf keinen Fall ohne Brille. »Nein.«
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    Sie biss sich auf die Lippen und drückte auf den Knopf, der ihr der richtige schien. Und tatsächlich: Das Licht im Wohnzimmererlosch. Von einem Augenblick auf den anderen gewannen die Fenster ihre Transparenz zurück. Dahinter tauchte der Garten auf. Als ob sich der Raum um sie herum plötzlich verdoppelte.
    Sie hielt unwillkürlich die Luft an und wartete auf eine Reaktion. Doch das Handy an ihrem Ohr blieb stumm. Stattdessen hörte sie auf einmal die Dusche im ersten Stock. Wasser, das in einen Ausguss rann. Unmengen von Wasser …
    Michael , hämmerte es hinter ihrer Stirn, während sich ihr Verstand an das beruhigend harmlose Geräusch klammerte wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Michael, wo bist du? Was hat dieser Irre mit dir gemacht?
    Es dauerte fast eine Minute, bis sie es endlich wagte, auf das Display zu sehen. »VERBINDUNG UNTERBROCHEN«, stand dort unter einer rotierenden Spirale.
    Er war fort …
    Sie zögerte keine Sekunde. Wie von tausend Teufeln gehetzt, stürzte sie aus dem Zimmer, die Treppe ins Obergeschoss hinauf.
    »Michael!«
    Keine

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