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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Antwort.
    Ihr Herz schlug schneller.
    Aber die Dusche lief doch! Sie hörte das Wasser …
    Na und?, höhnte ihr Verstand. Auf dem Display stand eben auch: »MICHAEL RUFT AN«. Wir sind so leicht zu täuschen in diesen Zeiten. Wir verlassen uns auf ein Geräusch, ein Display, die Stimme eines Navigationsgerätes, einen Lebenslauf bei Facebook. Und in Wahrheit ist nichts so, wie es scheint.
    Christina blieb stehen. Das Blut pochte ihr in den Adern, während vor ihrem inneren Auge Bilder aufblitzten. Blütenweiße Kacheln, gesprenkelt mit Blut. Ein Ausguss, in dem das rot verfärbte Wasser versickert. Ein Schatten hinter dem Milchglas der Duschkabine. Sequenzen wie aus einem Horrorfilm.
    Er ist hier.
    Er hat es irgendwie geschafft, ins Haus zu gelangen.
    Er hat deinem Mann etwas angetan. Und jetzt wartet er dort oben!
    Auf DICH!
    Ihre Finger krallten sich um das Geländer der Treppe. Noch fünf Stufen bis nach oben. Von dort dreieinhalb Schritte bis zur Badezimmertür. Sie kannte dieses Haus wie ihre Westentasche, und doch kam es ihr auf einmal fremd und riesig vor.
    Es ist eine Falle!
    Und wenn schon!, dachte sie. Du kannst jetzt nicht kneifen. Michael braucht dich. Du kannst ihn nicht einfach im Stich lassen. Du musst da rauf. Ihm helfen. Ganz egal, was dort auf dich lauert. Du darfst nicht einfach davonlaufen. In guten wie in schlechten Zeiten. Das hast du geschworen. Vor einem Priester. Vor deinen Eltern. Es gibt kein Zurück!
    »Micha!« Ihre Stimme überschlug sich.
    Würdest du sagen, dass jeder Mensch ein Grab verdient?
    Sie atmete tief durch und schrie dann noch einmal, so laut sie konnte: »Michael!«
    Als sie ein entferntes »Ja« hörte, wäre sie um ein Haar rücklings die Treppe hinuntergestürzt. Das war sein Ja. Michaels Stimme. Und eigentlich klang er nicht, als ob er in Not wäre …
    Sie rief erneut seinen Namen und stieß einen spitzen Schrei aus, als er ihr kurz darauf aus dem Badezimmer entgegentrat. Nass vom Scheitel bis zu den Füßen, ein dunkelblaues Handtuch eilig um die schmalen Hüften geschlungen.
    »Schatz«, sagte er. Und als er die Angst in ihrem Blick bemerkte, schüttelte er verwirrt den Kopf. »Was ist passiert?«
    »Wo ist dein Handy?«, fragte sie anstelle einer Antwort.
    »Was?«
    »Dein Handy, verdammt noch mal. Wo hast du es?«
    Seine Hand glitt über seine nackte Brust, dorthin, wo normalerweise die Jacketttasche saß. Eine unbewusste, irrationale Geste, deren Vergeblichkeit ihn für einige Augenblicke völlig aus dem Konzept brachte. Dann sagte er: »Es wird vermutlich in meiner Jacke sein. Wo es immer ist.«
    »Tu mir den Gefallen und sieh nach!«
    »Aber ich …«
    »Michael!« Sie packte ihn am Arm. »Schau bitte auf der Stelle nach, wo dein Handy ist, okay?«
    Ihre Eindringlichkeit erstickte seinen Widerspruch im Keim, obwohl er normalerweise ganz und gar nicht zu der Sorte Männer gehörte, die jeder Aufforderung blind Folge leisteten. Doch jetzt ging er wortlos ins Schlafzimmer hinüber und nahm sein Jackett vom Stuhl neben dem Bett, wo er es nach dem Ausziehen hingelegt hatte.
    Christina sah ihm zu, wie seine Hand nacheinander in alle Taschen glitt und sich seine Miene dabei immer mehr verfinsterte. »Ich bin sicher, dass es hier drin war«, murmelte er, während sein wacher Verstand eins und eins zusammenzählte. »Was ist hier los?« Er sah sie an. »Was bedeutet das alles?«
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Er hat mich angerufen.«
    Er fragte nicht, wer. Er wusste es. Völlig sinnlos blickte er auf die Uhr über ihrer Schminkkommode. »Wann?«
    »Gerade eben.«
    »Dann müssen wir die Polizei rufen.«
    »Ja.« Sie nickte, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Das müssen wir.«
    Er starrte sie an. Als sie nichts unternahm, streckte er ihr die Hand entgegen. Obwohl sein Körper noch immer dampfte, waren seine Hände eiskalt. »Komm«, sagte er leise.
    Gemeinsam gingen sie die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Keiner von ihnen wagte, ein Wort zu sagen.
    Die Ladestation für das Festnetz war in der Diele, doch das Telefon lag noch im Wohnzimmer, von wo aus Christina am Nachmittag mit einem Auftraggeber gesprochen hatte. Sie wies mit dem Kinn auf die Tür.
    Ihr Mann verstand und nickte.
    Das Licht im Wohnzimmer war noch immer aus, doch als sie das Zimmer betraten, bemerkte Christina sofort, dass etwas anders war. In jäher Panik riss sie am Arm ihres Mannes.
    »Was ist?«, fragte er.
    Sie deutete zur Terrassentür, von wo aus ihnen eisige Abendluft

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