Siebenschön
gesehen und dich nicht einschüchtern lassen von dem Hass, den du darin gefunden hast. Du hast dich durch den Prozess gequält, den sie gegen dich angestrengt haben. Und du hast diesen Prozess gewonnen. Du bist frei. Er kann gar nicht dort sein.
Sie machte die Augen wieder zu und sah Eberhard an seinem Schreibtisch sitzen, ein wenig apathisch von dem Schlafmittel, das sie ihm verabreicht hatte. Sie sah seine Hand, die nach ihrer Hüfte tastete. Seinen Blick, als sie seine wehrlosen Finger um den Griff der Waffe legte.
»Sarah.« Kein letzter verzweifelter Appell. Nur eine nackte Feststellung. Und eine ziemlich herablassende obendrein.
Sie atmete tief durch. Oh ja, die Botschaft, die ihr Mann ihr durch dieses eine Wort mit auf den Weg gegeben hatte, war mehr als eindeutig gewesen: Du tötest mich? Das hätte ich dir nie und nimmer zugetraut, du mieses, kleines Dreckstück! In Hunderten von Jahren nicht!
Doch Eberhard hatte für seine Überheblichkeit mit seinem Leben bezahlt. Im Geist hörte Sarah noch immer den Schuss. Fühlte trotz ihrer Leiden noch immer den Triumph. Darüber, dass sie dieses eine, dieses alles entscheidende Mal das letzte Wort behalten hatte.
»Es kann unmöglich sein, dass der Mann, der mich gefangen hält, auf dieses Gefühl verzichtet«, flüsterte sie sich selbst Mut zu, während endlich auch das Fieber in ihr langsam wieder abzuflauen schien. »Auch für ihn wird der Moment kommen, in dem er möchte, dass ich die Wahrheit erkenne. Dass ich erfahre, weshalb ich hier bin. Und dann wird er zu reden anfangen …«
Sarah!
Schon wieder Eberhard! Rücksichtslos wie eh und je …
Ja, dachte sie mit einer eigentümlichen Mischung aus Stolz und Grauen. Sarah!
3
Das Gespräch mit Lina Wöllners Mann war mehr als unbequem gewesen. Sie hatten ausloten müssen, wie viel er wusste. Und leider hatte sich herausgestellt, dass er in einigen Dingen tatsächlich völlig ahnungslos gewesen war.
Em sah sein Gesicht vor sich, als sie ihm eröffnet hatten, dass seine verstorbene Frau einst unter Verdacht gestanden hatte, ihre eigene Mutter getötet zu haben.
»So etwas hätte Lina …?« Thomas Wöllners Mundpartie war grau geworden. »Nur, um an das Geld zu kommen?«
Zu Ems Erstaunen hatte er nicht versucht, ihnen weiszumachen, dass es sich dabei nur um einen Irrtum handeln könne. Und er hatte auch nicht versucht, seine Frau zu verteidigen, was Em angesichts der Scheu, die die meisten Menschen an den Tag legten, wenn es um den guten Ruf eines Toten ging, ausgesprochen bemerkenswert fand.
»Glauben Sie, dass Wöllner sich von seiner Frau hätte scheiden lassen, wenn er das mit ihrer Mutter erfahren hätte?«, fragte Zhou, als sie wieder im Auto saßen.
»Ich würde es durchaus für möglich halten«, antwortete Em. »Auch wenn es natürlich schwer ist, so was nach der Momentaufnahme einer einzigen Begegnung zu beurteilen.«
»Würde es Sie an seiner Stelle beeinflusst haben?«
Eine hypothetische Frage? Was sollte denn das jetzt?
»Ich nehme an, ich würde zumindest ein wenig genauer hinsehen.« Em versuchte alles, um so unbedarft wie möglich zu klingen. Seit ihrer unfreiwilligen Begegnung mit Benjamin von Treskow auf der Damentoilette war Zhou mit keiner Silbe auf den Vorfall zu sprechen gekommen. Aber ein Thema wie dieses bot sich förmlich dazu an, vielleicht doch noch eine Spitze loszulassen. Also war sie lieber gleich doppelt auf der Hut. »Und vermutlich würde auch die eine oder andere Begebenheit aus der Vergangenheit einen etwas anderen Beigeschmack bekommen.«
»Also war Lina Wöllners Furcht vor Westen nicht unberechtigt.«
»Ich habe nur von mir gesprochen«, versetzte Em schnippisch.
»Natürlich.« Zhou blickte mit geradezu provokant unbeteiligter Miene aus dem Seitenfenster. »Verzeihung.«
Gott, war diese Frau überhaupt je aus der Reserve zu locken? Em merkte, wie ihre Finger sich fester um das Lenkrad legten. Dieses betont höfliche Getue machte einen ja wahnsinnig!
Nach ein paar wortkargen Minuten erreichten sie das Haus, in dem Astrid Gerolf wohnte, Sander Westens Sekretärin. Ein schmucker Altbau in der Innenstadt, nur wenige Gehminuten von der Praxis des Psychologen entfernt. Em hatte ihren Besuch telefonisch angekündigt, und Astrid Gerolf hatte darum gebeten, dass die beiden Polizistinnen zu ihr nach Hause kamen. Donnerstags müsse sie erst gegen halb zwei in der Praxis sein, und zu Hause hätten sie doch auch viel mehr Ruhe.
Em war nicht sicher, ob das tatsächlich
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