Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman
Gedicht drang in seine Seele ein, bekam plötzlich einen ganz neuen Sinn, und Bilodo wusste, das war’s: der einzige Weg, sich aus der Affäre zu ziehen, die letzte noch verbleibende Lösung all seiner Probleme.
Er richtete sich auf und wusste, was er zu tun hatte.
21
Es gab keinen Zweifel. Diesen Weg musste er wählen, allerdings galt es, vorher noch einige Vorkehrungen zu treffen. An den Verleger, der soeben angerufen hatte, verfasste Bilodo ein Schreiben, das ihn ermächtigte, ›Enso‹ nach seinen Vorstellungen zu veröffentlichen. Er legte den Brief sicherheitshalber auf den Schreibtisch, damit man ihn auch finden würde, genehmigte Bill eine doppelte Ration seines Lieblingsfutters und verabschiedete sich von dem Fisch, dem er für seine unverbrüchliche Freundschaft dankte. Er war nun bereit zu gehen.
Der breite Balken an der Wohnzimmerdecke würde sich bestens für sein Vorhaben eignen. Er schob den kleinen blattförmigen Tisch direkt unter ihn, löste den Gürtel seines Kimonos und prüfte dessen Strapazierfähigkeit. Zufrieden dachte er an seine Kindheit, an die unbeschwerte Zeit bei den Pfadfindern, und knüpfte geschickt eine zusammenziehbare Schlinge. Ihm war daran gelegen, allesordentlich zu machen. Es kam nicht in Frage, sich die Pulsadern durchzuschneiden oder eine Pistole zu verwenden, beides Methoden, die gleichermaßen abstoßend waren. Bilodo wollte sich mit Würde verabschieden und möglichst wenig Spuren hinterlassen: sich zu erhängen war gewiss der sauberste Weg.
Er stieg auf den kleinen Tisch, befestigte das Gürtelende am Balken und legte sich die Schlinge um den Hals. Es war so weit. Gleich würde er dem Tod ins Gesicht sehen. Er brauchte nur mit der Ferse den Tisch umzukippen, dann würde sein Leiden ein Ende haben. Bilodo atmete tief durch, schloss die Augen und …
Die Türklingel schrillte durch die Stille.
Bilodo zuckte zusammen, er zögerte. Er beschloss, eine Weile zu warten, in der Hoffnung, dass der ungelegene Besuch wieder gehen würde, doch dann klingelte es erneut. Er empfand eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Verärgerung. Wer wagte es, ihn, den seit Monaten niemand besucht hatte, in diesem entscheidenden Moment zu stören? Er löste die Schlinge, stieg vom Tisch, ging zur Tür und spähte durch den Spion. Das verzerrte Gesicht auf der anderen Seite gehörte Tania.
Tania. Er hätte sie um ein Haar vergessen. Die letzte Person, der Bilodo noch irgendwelche Erklärungen schuldete, war die junge Kellnerin. Zögerlich entriegelte erdie drei Schlösser, löste die vier Sicherheitsketten und schloss auf. Als er im Türrahmen erschien, wirkte Tania noch verwunderter als er. Sie fragte ihn besorgt, ob es ihm gut gehe, und gestand, ihn stark verändert zu finden. Das wunderte Bilodo kaum: Nach all den aufwühlenden Emotionen und der schwerwiegenden Entscheidung, den Tod zu umarmen, sah er bestimmt aus wie ein lebendig Begrabener. Er setzte ein beruhigendes Lächeln auf und beteuerte, sich noch nie so gut gefühlt zu haben. Die junge Frau entschuldigte sich, wenig überzeugt, für die Störung und erklärte verwirrt, Robert habe ihr die Adresse genannt. Bilodo wollte sich ebenfalls entschuldigen wegen des Vorfalls im »Madelinot«, doch sie kam ihm zuvor und beteuerte, größtenteils selbst daran schuld gewesen zu sein: Seitdem sie Robert ausgefragt und zu einem Geständnis gezwungen habe, wisse sie, dass Bilodo nichts dafür könne, die Schuld liege eigentlich bei ihr, denn es wäre gar nicht so weit gekommen, wenn sie sich nicht eingebildet hätte … dummes Zeug, nicht wahr? Sichtlich verlegen, trippelte sie nervös von einem Bein aufs andere und schien darauf zu warten, dass er ihre Worte bekräftigte oder auch entkräftete. Als nichts dergleichen geschah, ging sie zum zweiten Anliegen ihres Besuchs über und sagte, sie gehe fort, gebe ihre Wohnung auf, kündige ihren Job im Restaurant und wolle in einen Vorort ziehen. Erhoffte sie sich von ihm eine bestimmte Reaktion? War sie von seiner Gleichgültigkeit enttäuscht? Sie ließ sich nichts anmerken, sondern reichte ihm nureinen Zettel mit dem Hinweis, dies sei ihre neue Adresse, für alle Fälle … falls er jemals … jedenfalls. Bei näherem Hinsehen stellte Bilodo fest, dass sie sich die Mühe gemacht hatte, ihre neue Adresse fein säuberlich nach japanischer Manier mit dem Pinsel zu schreiben. Das Ergebnis war beachtlich, und er gratulierte ihr von ganzem Herzen. Sie forderte ihn auf, ihr, falls
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