Sieg der Herzen
war die Erinnerung an dieses Geschehen so quälend für sie wie gewisse Erinnerungen an den Krieg für ihn.
Sie schien den Gedanken jedoch zu erwägen, und dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Nein, ich werde mich selbst um Jamie kümmern. Jemand wird sie bestimmt für sich beanspruchen. Aber ich möchte sie von Dr. Parrish untersuchen lassen, um mich zu vergewissern, dass sie gesund ist. Sie könnten nach dem Abendessen über die Straße gehen und ihn herholen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Es war der erste Gefallen, um den sie ihn bat, und so konnte er nicht ablehnen, doch bei dem Gedanken fühlte er sich unbehaglich. Springwater war schließlich eine kleine Stadt, und je weniger Kontakt er mit den Einheimischen hatte, bevor er bereit war, desto besser. »Ich werde es tun«, sagte er.
Als das Abendessen serviert wurde, saß Jamie, bekleidet mit einem von Miss Olivias Hemden, mit einem Seidenschal als Gürtel, das nasse blonde Haar gekämmt und das Gesicht sauber geschrubbt, argwöhnisch am Tisch. Sie wirkte, als würde sie wie ein Reh flüchten, wenn jemand eine plötzliche Bewegung machte, aber ihre Blicke folgten dem Teller mit Hühnerbraten, als könne er sie zu irgendeinem heiligen Ort führen. Sie verschlang vier Stücke, bevor sie es langsamer angehen ließ, und danach ließ sie sich noch zweimal Stampfkartoffeln und Soße geben. Sie war gerade im Begriff, ein großes Stück Apfelkuchen zu verdrücken, als sich Jack entschuldigte, vom Tisch aufstand, seinen Teller und das Besteck zum Spülbecken trug und seinen Mantel vom Haken bei der Hintertür nahm.
»Ich könnte Ihnen die Gebühr für den Doc ersparen«, sagte er mit der Andeutung eines Grinsens. »Dieses Mädchen ist gesünder als sonst irgendjemand auf dieser Seite des Missouri.«
»Ich brauche keinen Doktor, ich bin nicht krank«, protestierte Jamie, aber sie war zu beschäftigt mit dem Apfelkuchen, um ernsthaft aufzubegehren. Jack hoffte, dass noch ein oder zwei Stücke Kuchen übrig waren, wenn er zurückkehrte, denn er liebte Apfelkuchen.
»Mit vollem Mund... und so weiter«, bemerkte Miss Olivia gelassen. Sie war längst mit dem Essen fertig, doch sie hatte es anscheinend nicht eilig mit dem Abwasch oder mit dem Klavierspielen, wie es für gewöhnlich der Fall war.
»Hä?«, fragte Jamie verständnislos und hielt nur kurz im Kauen inne.
»... spricht man nicht«, ergänzte Miss Olivia.
Jack lächelte vor sich hin und verließ das Haus.
Dr. Parrish legte das Stethoskop in seine Arzttasche zurück. »Nur Unterernährung«, sagte er zu Miss Olivia, die auf der anderen Seite des Bettes stand, in dem das Kind lag und sie beide mit großen Augen beobachtete. »Nichts von Bedeutung.«
Er musste sich eingestehen, dass er mit den Gedanken nicht bei dem Kind war. Stattdessen dachte er an den Mann, der vor ungefähr einer Stunde vor seiner Haustür aufgetaucht war, die Hutkrempe tief in die Stirn gezogen, den Kragen seiner Jacke aufgestellt. Dies war also der geheimnisvolle Pensionsgast, den außer Miss Olivia und Trey Hargreaves, der ihn als Sprengmeister für die Mine angestellt hatte, anscheinend niemand am helllichten Tag gesehen hatte.
Pres war dafür bekannt, dass er sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischte, ein Verhalten, das seiner Frau und ihren Freundinnen fremd war; doch diesmal war selbst er neugierig. Da war etwas an Jack McLaughlin gewesen, das seine Erinnerung weckte. Er hatte den Gang des Mannes schon gesehen, diese Stimme gehört - doch wo?
»Doktor?« Olivia sah ihn fragend an, und ihm wurde klar, dass er in Gedanken mit sich geredet haben musste. Schlechte Angewohnheit für einen Arzt, dachte er.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich war gerade ein wenig abgelenkt.«
Sie lächelte, und zum ersten Mal - er war absolut blind gegenüber jeder Frau außer Savannah - kam ihm in den Sinn, dass sie auf eine herbe Art hübsch war.
Pres drückte seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger. Seine Patientenbesuche waren an diesem Tag besonders anstrengend gewesen, und er sehnte sich danach, die Mahlzeit zu essen, die Savannah für ihn warm hielt, seinen Kindern vorzulesen und sich in Ruhe mit seiner Frau zu unterhalten. Manchmal war Savannah alles, was ihn bei geistiger Gesundheit hielt. Die Dämonen, die ihn während des Krieges gequält hatten, würden bis zu seinem Tode bei ihm bleiben, das war ihm klar, aber wenn er mit Savannah im Bett lag und sie ihn in die Arme nahm, konnte er Vergessen finden.
Weitere Kostenlose Bücher