Sieg der Herzen
Immer wenn ich jetzt an sie denke, ist es, als wären sie irgendwie zusammengekommen, um zu einem Mann zu werden anstatt zu zweien.
Sie lächelte, vielleicht ein wenig traurig. Ich danke Dir jedoch aus ganzem Herzen für meinen Ehemann. Er ist das Wertvollste, was Du jemals erschaffen hast, und ich bitte Dich, ihn mir noch lange, lange zu lassen, wenn es Dir nichts ausmacht.
Olivias Hühner waren ganz aus dem Häuschen, gackerten und schlugen wild mit den Flügeln, um eine steife Brise zu entfachen. Jack stand auf der Schwelle der Hintertür, rauchte und beobachtete, wie die ersten dunklen Schatten des Abends über den Schnee krochen. Er konnte sich das Verhalten der Hühner nicht erklären. Aus der Richtung des Brimstone Saloons kam kein übermäßiger Lärm - jedenfalls nicht mehr als gewöhnlich -, was den üblichen Grund für die Aufregung der Hühner ausschloss.
Jack hoffte, die Hühner zu beruhigen, bevor Miss Olivia zu einem weiteren ihrer hoffnungslosen Kreuzzüge aufbrach, und so ging er zum Hühnerstall.
Die Tür quietschte in den Angeln, als er sie aufzog - er würde das Scharnier gleich ölen müssen -, und als Erstes schlug ihm der Gestank von Mist entgegen. Er spähte in die Dunkelheit und rechnete damit, einen Fuchs oder ein Wiesel oder vielleicht eine streunende Katze zu sehen.
Stattdessen flitzte ein Kind auf ihn zu, rammte seinen Bauch wie eine Kanonenkugel und wollte aus dem Stall flüchten, doch es gelang ihm, den Missetäter an der verschlissenen Jacke festzuhalten, bevor er sich an ihm vorbei - durch die Tür zwängen konnte.
Zuerst wusste Jack nicht, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Eindringling handelte, denn er sah nur wirres Haar und verschmutzte Kleidung. Der drahtige kleine Bösewicht - welchen Geschlechts auch immer - war stark, und Jack hatte einige Mühe, ihn festzuhalten. Er lächelte leicht, als er erkannte, dass dieser kleine Dieb nicht gekommen war, um Eier zu stehlen; er - oder sie - hielt eine sehr wütende Henne unter einem Arm.
»Na, wen haben wir denn da?«, fragte Jack und hielt den zappelnden Dieb eisern fest. Er war zu kleinen Leuten stets freundlich, aber Dieb war Dieb, und es wäre nicht richtig gewesen, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen.
Glühende blaue Augen blickten ihn trotzig aus dem kleinen, schmutzigen, hungrig wirkenden Gesicht an. »Sie haben viele Hühner«, sagte der Junge. »Sie können ein einziges entbehren.«
»Das ist nicht der springende Punkt«, erwiderte Jack. »Erstens sind das nicht meine Hühner, die ich entbehren kann oder nicht. Und zweitens hast du nicht das Recht zu stehlen, nur weil jemand anders viel besitzt.« Hunger kann sich jedoch absonderlich auf die Moral einer Person auswirken, dachte er grimmig. Er hatte diese Art Verzweiflung während des Kriegs oftmals gesehen, in den Gesichtern von Feinden und in denen befreundeter Rebellen gleichermaßen. Er selbst hatte des Öfteren einen Apfel von einem Baum oder eine vergessene Kartoffel aus irgendeinem Feld gestohlen. Er erinnerte sich nur zu gut an den nagenden Hunger, und es war klar, dass dieser Knirps ebenfalls Kohldampfhatte. »Ich hatte dich nach deinem Namen gefragt«, erinnerte Jack.
»Jamie«, antwortete der Junge.
Nun, diese Auskunft half nicht viel, was das Geschlecht anbetraf. Er hatte schon gehört, dass Mädchen so hießen, obwohl öfter Jungen so genannt wurden. Er seufzte. »Wo sind deine Eltern?«
»Ich habe keine.«
»Ich verstehe. Überhaupt keine?«
»Nee«, sagte Jamie.
»Und wie bist du hierhergekommen ?«
In diesem Moment tauchte Olivia auf, zweifellos von dem ständigen Hilfegackem der gestohlenen Henne alarmiert. Mit gerafften Röcken nahte sie forsch über den mit Schnee bedeckten Pfad.
»Du lieber Himmel!«, rief sie. »Lassen Sie dieses Kind los, Mr McLaughlin!«
»Dann wird er abhauen«, gab er zu bedenken.
»Er?«, wiederholte Olivia, sofort erbost über seine Wortwahl. Das Kind blickte unterdessen von einem zum anderen, als ob sie sich gegenseitig eine heiße Kohle zuwerfen würden.
»Da haben Sie Ihr altes Huhn«, sagte Jamie und hielt Olivia den Vogel hin. »Es ist ohnehin mager. Das Fleisch ist vermutlich zäh.«
»Warum finden wir das nicht einfach heraus?«, fragte Olivia. Ihr Tonfall war überhaupt nicht herablassend; es klang, als plaudere sie mit einem anderen Erwachsenen. »Mr McLaughlin, sind Sie so freundlich und befreien Sie dieses arme Tier aus seiner misslichen Lage und bereiten Sie es auf die Prüfung
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