Sieg der Liebe
„Sie glauben nicht, daß es Unglück bringt, wie Ihre Mutter es vorausgesagt hat, jetzt, nachdem ich Sie gesehen habe?“ fügte er hinzu.
Zweifelnd blickte Jerusa ihn an. „Werden Sie es ihr erzählen?“
„Nein, weshalb sollte ich das tun? Sie pflücken jetzt Ihre Rosen, ma chere, und dann eilen Sie zurück ins Haus, ehe man Sie suchen wird.“
Sie zögerte, und zu spät merkte er, daß er gedankenlos ins Französische abgeglitten war. Aber ihr Mißtrauen verschwand so rasch, wie es gekommen war, und sie lächelte ihn bezaubernd an. Mit einem Anflug von Bedauern, das ihn selbst überraschte, dachte er daran, daß es das letzte Lächeln sein würde, das sie ihm schenken würde.
„Ich danke Ihnen“, sagte sie. „Es ist mir egal, mit welchem meiner Brüder Sie befreundet sind, denn nun sind Sie auch
mein Freund.“
Sie wandte sich den Blumen zu, ehe Michel etwas erwidern konnte. Ihre Röcke raschelten, als sie sich anmutig über die Rosen beugte.
So viel Grazie, dachte Michel, während er das feuchte Tuch aus seiner Tasche zog, so viel Schönheit, um das vergiftete Blut zu verbergen. Sie wehrte sich nur einen Augenblick lang, als er ihr das Tuch auf Mund und Nase preßte, dann sank sie reglos in seine Arme.
Er blickte hinüber zum Haus, während er das bewußtlose Mädchen in den Schatten der Hecke trug. Dort nahm er ihr rasch den Schmuck ab, das Perlenhalsband, das Armband und den Ring, die Diamantenohrringe und sogar die Schnallen von ihren Schuhen. Was immer man ihm auch nachsagen mochte, er war kein Dieb, und er war stolz genug, um ihren Schmuck zurückzulassen.
Rasch zog er die Nadeln aus ihrem Haar und zupfte an den kunstvoll geformten Locken, bis sie ihr wirr um die Schultern hingen und ihr hübsches Gesicht verbargen. Mit dem Daumen rieb er ihr eilig Schmutz auf die Wangen und die Hände und versuchte, nicht darauf zu achten, wie zart sich ihre Haut anfühlte.
Sie war eine Sparhawk, nicht einfach irgendeine Frau. Er mußte daran denken, wie sie ihn beschimpfen würde, wenn sie den Namen seines Vaters erfuhr!
Mit seinem Messer schnitt er den unteren Volant ihres Kleides ab, so daß der leinene Unterrock sichtbar wurde, den er hinter dem Gebüsch durch den Schmutz schleifte. Schließlich zog er seinen Mantel aus und hängte ihn ihr um die Schultern. Wie er gehofft hatte, verbarg der Mantel, was von ihrem Kleid noch übrig war, und in den dunklen Straßen würde sie mit dem verschmierten Gesicht und dem zerzausten Haar wie eine der betrunkenen Hafendirnen wirken. Wenigstens so lange, bis er sein Pferd aus dem Stall geholt hatte.
Ganz kurz kauerte er sich nieder und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann blickte er noch einmal auf das von Kerzen hellerleuchtete Haus. Das Mädchen hatte recht gehabt. Kein Alarm und keine Angstschreie waren durch die geöffneten Fenster zu hören, nur Lachen und angeregte Unterhaltung.
Eine letzte Aufgabe noch, dann hatte er es geschafft.
Er hob die Rose auf, die heruntergefallen war, und legte sie oben auf ihren Schmuck. Tief griff er in seine Westentasche, bis er das Blatt Papier fand. Er faltete es auseinander und spießte es auf die Dornen, so daß die verwischte fleur de lis deutlich zu erkennen war.
Frankreichs Symbol, das Zeichen von Christian Sainte-Juste Deveaux. Ein Zeichen, das Gabriel Sparhawk so leicht identifizieren würde wie seinen eigenen Namen. Und Maman würde endlich lächeln.
2. KAPITEL
Die Regentropfen trommelten auf die Schindeln über Jerusas Kopf. Von dem Geräusch geweckt, öffnete sie benommen die Augen und rieb sich die bloßen Arme. Es war kühl und feucht, und sie tastete nach ihrer seidenen Decke. Sie wußte, daß sie sie am vergangenen Abend ans Fußende des Bettes gelegt hatte, direkt neben ihren Morgenrock. Wo war sie nur? Sie tastete weiter herum und fühlte das Stechen von Strohhalmen.
„Was immer Sie auch suchen, es ist nicht hier.“
Sie wandte sich dorthin, wo die Stimme des Mannes herkam. Und sofort begann alles um sie her sich zu drehen, und rasch schloß sie wieder die Augen. Sie stöhnte leise. Jetzt bemerkte sie den unangenehmen Geschmack in ihrem Mund und daß ihr Kopf ganz abscheulich schmerzte, als ob sie am vergangenen Abend zuviel Sherry und kandierte Früchte genossen hätte.
Sicher war sie krank, das würde erklären, warum sie sich so elend fühlte. Aber warum lag Stroh in ihrem Bett, wieso war ein Mann in ihrem Schlafzimmer, und wo war nur die verflixte Bettdecke?
„Es gibt keinen Grund zur
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