Sieg der Liebe
Seit wir Newport verlassen haben, sind fast ein Tag und eine Nacht vergangen, und noch ist keiner Ihrer edlen Ritter aufgetaucht. Was spielt es also für eine Rolle, ob ich Engländer oder Franzose bin?“
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Jerusa klammerte sich fester an die Decke und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sie hatte nicht gewußt, daß so viel Zeit verstrichen war, und dachte daran, wie besorgt ihre Eltern waren. Und Tom. Gütiger Himmel, wie sehr mußte er leiden! Schließlich war sie an ihrem Hochzeitstag verschwunden!
„Hätten Sie wenigstens die Freundlichkeit, ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen mit der Mitteilung, daß ich unverletzt bin?“ In einer Hafenstadt wie Newport konnten einer Frau alle möglichen Gefahren drohen, und Jerusa mochte gar nicht daran denken, wie ihre Mutter sich jede einzelne davon vorstellte.
Jerusa berührte ihr nacktes Handgelenk, an dem sie Mamas Armband getragen hatte, ehe sie sich erinnerte, daß dieser Mann es gestohlen hatte. Es war etwas Besonderes gewesen. Ihre Mutter hatte es zu ihrer eigenen Hochzeit geschenkt bekommen und es an Jerusa weitergegeben. „Sie können sich gewiß nicht vorstellen, welchen Schmerz Sie meiner Familie zugefügt haben.“
„O doch, das kann ich.“ Seine Miene wirkte seltsam kalt. „Außerdem habe ich eine Nachricht hinterlassen, damit Ihr Vater Bescheid weiß.“
„Dann werden sie kommen. Sie finden mich, wo auch immer Sie mich hingebracht haben. “
„Davon bin ich überzeugt“, meinte Michel gleichmütig und streckte die Arme aus. Er war nicht sehr viel größer als Jerusa selbst, doch es war nicht zu übersehen, wieviel Kraft in seinem schlanken, muskulösen Körper steckte. „Ich wäre sogar enttäuscht, wenn sie es nicht tun würden. Aber nicht hier, und nicht so bald.“
„Wo dann?“ fragte sie, und ihre Verzweiflung wuchs mit jeder Minute. „Wann?“
„Dort, wo es mir gefällt, und wenn ich es sage.“ Kalt blickte er sie an, während er die Uhr in die Tasche zurückschob. „Vergessen Sie nicht, meine reizende Jerusa, daß jetzt nur noch mein Wort zählt, nicht Ihres. Ich weiß, dies ist für eine Sparhawk nur schwer zu verstehen, aber da Sie eine kluge junge Dame zu sein scheinen, werden Sie es bald gelernt haben.“
Aber sie wollte es gar nicht lernen, und schon gar nicht von ihm. Jerusa schauderte. Wie lange würde er sie gefangenhalten? Es war schon schlimm genug, daß sie eine Nacht allein mit ihm verbracht hatte, während sie betäubt gewesen war, aber was würde sie heute nacht erwarten? Sie war sich nur zu sehr bewußt, daß sie die Gefangene eines Mannes war.
„Wenn Sie Geld wollen“, sagte sie leise, „wird mein Vater es zahlen, das wissen Sie. Sie haben meinen Schmuck als Pfand. Lassen Sie mich jetzt gehen, und ich sorge dafür, daß man Ihnen schickt, was immer Sie verlangen.“
„Sie gehen lassen?“ Erstaunt sah Michel sie an. „Vor einer knappen Viertelstunde erklärten Sie mir noch, Sie würden mich an den Galgen bringen, und jetzt bitten Sie mich, Ihnen zu vertrauen?“
„So habe ich es nicht gemeint. Ich dachte ...“
„Es ist egal, denn ich will weder Ihr Geld noch Ihren Tand, deshalb habe ich ihn auch zurückgelassen.“ Michel sprach jetzt leiser und eindringlicher. „Sie will ich, Miss Jerusa Sparhawk. Sie, und sonst nichts.“
Jerusa fragte nicht, warum. Sie wünschte sich nur, bei ihrer Familie zu sein und bei Tom. Und dann würde sie vergessen, daß sie jemals diesem furchtbaren Franzosen begegnet war. Wie hatte der schönste Tag ihres Lebens nur mit so einem Unglück enden können?
Unglück. Sie erinnerte sich an Mamas halb im Scherz ausgesprochene Warnung, als sie Jerusa beim Ankleiden geholfen hatte: „Unglück für die Braut, die sich in ihrem Hochzeitskleid zeigte, ehe sie verheiratet war.“ Jerusa hatte darüber gelacht. Und nun? Hatte es jemals eine unglücklichere Braut gegeben als sie?
Unglücklich, krank vor Heimweh und verängstigter, als sie jemals in ihrem Leben gewesen war.
Starr blickte sie aus dem kleinen quadratischen Fenster nach draußen und kämpfte mit den Tränen. Ein Mann wie er würde sie nur auslachen, wenn sie weinte. Aber wie hoffnungslos ihre Lage auch war, dieses Vergnügen würde sie ihm nicht gönnen. Sie fühlte sich schon zu sehr bloßgestellt.
Weitaus besser war es, daran zu denken, daß sie eine
Sparhawk war, und die Sparhawks waren keine Feiglinge. Hatte nicht sogar ihre Mutter vor langer Zeit gegen Piraten gekämpft, um ihren
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